Die Gesellschaft in Zeiten von Corona

journalistisch-philosophische Berichte von Veselin Kolev



3.12.2022
Wenn sich Menschen aufrichtig in die Augen schauen
Kommentar: Schritt für Schritt zur Versöhnung
2022. Wir feiern die neue alte Lebensfreude! In vollen Zügen fahren wir wieder zu Verwandten. Das Sommerfest ist so selbstverständlich wie der Weihnachtsmarkt. Der zunehmend endemische Zustand brachte uns Immunität und Reisefreiheit. Wir tanzen miteinander. Und wir reden miteinander –immer seltener über Krankheiten oder Politik. Ist das der erfolgreiche Schlusspunkt eines historischen gesellschaftlichen Stresstests?


Empathie und Selbstkritik sind das A und O
einer schönen, aufrichtigen Persönlichkeit


Noch nicht. Immerhin setzt die Erkenntnis den Anfang. Eine leichte Kost war und ist die Pandemie für niemanden. Wir hatten Angst um die Angehörigen, um Existenzen und um die Bildung und die Unbeschwertheit der Jüngeren. In den Krankenhäusern haben Tragödien stattgefunden. Menschliche Beziehungen sind zerrissen, Firmen und Vereine hatten zu kämpfen. Die Effekte auf die seelische Gesundheit kommen erst nach und nach zu Tage.


Politische Entscheidungen sind so menschlich wie
Missverständnisse zwischen guten Freunden


Bundes- und Landesregierungen wollten das Allerbeste für uns alle trafen in großer Not schwierige Entscheidungen. Was dann zwischen Politik und Bevölkerung geschah, war so menschlich wie ein Missverständnis unter guten Freunden. Frankreich ließ uns Ende August aufhorchen. Beim Beenden des Ausnahmezustands sagte der Vorsitzende des dortigen Expertenrats, Jean-François Delfraissy, selbstkritisch: "Natürlich bedauere ich vieles. Wir haben manchmal die Gesundheit über die Menschlichkeit gestellt." *


"Wir haben manchmal die Gesundheit über die Menschlichkeit gestellt"

Jean-François Delfraissy, Vorsitzender des französischen Corona-Expertenrats


Und in Deutschland? Ich genieße es sehr, dass die erbitterten Diskussionen pro und contra Maßnahmen oder Impfung sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit nur noch blasse Vergangenheit sind. Was noch fehlt, ist der versöhnliche Schlussstrich. Welt-Kolumnistin Anna Schneider beklagt, dass es sich unser Land "im Verdrängungsmodus gemütlich gemacht" habe. ** Dennoch erblicken hierzulande Stück für Stück empathische, selbstkritische Offenbarungen die Welt. Der ehemalige Gesundheitsminister, Jens Spahn, bittet um Verzeihung dafür, dass politische Fehlentscheidungen in der Pandemie jungen Menschen überproportional viel abverlangt haben. *** Sein Buch "Wir werden einander viel verzeihen müssen" erschien im September. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, übt Selbstkritik: Man habe zwar "immer wieder auf die Jüngeren hingewiesen", aber angesichts der schwerwiegenden psychischen Auswirkungen von Lockdowns und Schulschließungen "eben doch zu wenig". ** Am 1.12.2022 folgte die Generalsekretärin der Freien Wähler, Susann Endres. Bei ihrer Rede im Bayerischen Landtag entschuldigte sie sich etwa für "Entscheidungen, die unsere Gesellschaft gespalten haben." *** Auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks präzisierte sie, dass hierzu unter anderem der Begriff der "Pandemie der Ungeimpften" und die daraus resultierenden politischen Entscheidungen gemeint sind.


Die Wunden sind erfolgreich verdrängt,
aber noch nicht geheilt


Ja, da war noch was. Selbst die "Pandemie der Ungeimpften" klingt gemäßigt im Vergleich zur "Tyrannei der Ungeimpften" ****, die Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery ausgesprochen hat. Die gesellschaftliche Welle von Ungeduld und Verärgerung über die Nicht-Geimpften erreichte im letztjährigen Herbst, unter anderem über Tobias Hans und Karl Lauterbach, auch unser Staatsoberhaupt. Am 12.11.2021 berichteten Medien, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Auffrischungsimpfung erhalten hat. Bei dieser Gelegenheit appellierte er an die Bevölkerung eindringlich, sich impfen bzw. boostern zu lassen. Diejenigen, die das immer noch nicht getan haben, warf er vor, "sie setzen ihre eigene Gesundheit aufs Spiel, und sie gefährden uns alle." *****


Es geht nicht um eine Partei, Regierung oder Opposition.
Es geht um das Verhältnis von Mensch zu Mensch


Der letzte Nebensatz sitzt bei einigen Menschen immer noch tief. Eine Mehrheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger hat seit Beginn der Pandemie alle Regeln eingehalten. Viele von uns, auch ich, haben die eigenen Bedürfnisse weit über die staatlichen Maßnahmen hinaus eingeschränkt zum Wohle der Allgemeinheit. Man denke insbesondere an die, die im Lockdown psychisch gelitten haben und dennoch die Zähne zusammengebissen und sich vorbildlich verhalten haben. Diese Menschen verdienen, unabhängig von ihrer Impfentscheidung, höchste Anerkennung. Die Einsamkeit und die Ungewissheit, wie lange die Lockdowns dauern, bereiteten selbst manchen Gesunden schlaflose Nächte und tränenreiche Tage. Für den nicht geimpften Teil der Gesellschaft kam im Herbst 2021 eine weitere Last hinzu: Der Alltag wurde für sie ungemütlich, etwa durch 2G-Regeln oder unangenehme Gespräche im Freundeskreis. Bei klarer Meinung und Stimmung in der Mehrheit der Bevölkerung kam das Verständnis für besondere Umstände zu kurz. Eine Depression kann etwa dazu führen, dass man den Impftermin kaum erwarten kann. Sie kann aber auch dazu führen, dass man erst nach langer, ruhiger Bedenkzeit diesen Schritt wagen und ohne psychische Nebeneffekte erfolgreich nehmen kann. Gesellschaftlicher Impfdruck ist bei diesen Menschen das kontraproduktivste.


Die Vorwürfe kamen prompt,
die Beweise blieben dünn


Die wenigen Einzelfälle unterstreichen das große Ganze: wie wollen wir Menschen miteinander umgehen? Mit der hohen Impfquote hatten wir als Gesellschaft ein richtiges und wichtiges Ziel. Doch mit welchen Methoden wollen wir dieses Ziel erreichen? Die positive Motivation setzt auf sachliche Argumente und sanfte, verständnisvolle Worte. Die negative Motivation setzt auf Druck, zum Beispiel mit dem Hinweis, dass die Nicht-Impfung der ganzen Gesellschaft schadet. Dabei entsteht bei sensiblen Menschen ein Gefühl von Schuld, das sie kurzfristig zum Handeln zwingt und langfristig ein Leben lang als Trauma verbleibt. Aus meiner eigenen Erfahrung im Berufs- und Privatleben wird klar: Die positive Motivation erreicht deutlich mehr Menschen als die negative. Konkret: ohne vorwurfsvolle Worte in solcher Deutlichkeit wäre die Impfquote ähnlich hoch, doch die seelischen Schmerzen wären vielen Menschen erspart geblieben. Für psychisch Kranke etwa ist das ein Unterschied zwischen Tag und Nacht.


Mit guten Argumenten und freundlichen Worten
erreichen wir mehr als mit Druck und Vorwürfen


Auf Sachebene sickern leise neue Erkenntnisse durch, auch im Bereich der Wissenschaft. Was damals nach bestem Wissen und Gewissen angebracht war, kann heute in Frage gestellt werden – etwa die Kita-Schließungen. Dass die in Bayern besonders harten Ausgangsbeschränkungen in der ersten Welle gut gemeint waren, aber über das Ziel hinausschossen, ist inzwischen gerichtlich bestätigt. ****** Ebenso kristallisiert sich Stück für Stück heraus, dass die Corona-Impfung in erster Linie dem Eigenschutz dient. **** Die Wirkung auf den Fremdenschutz und damit auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Eindämmung dieser Pandemie dürfte bestenfalls ein Nebeneffekt sein. Mit dem heutigen Wissen könnte man die Behauptung, dass die Nicht-Geimpften "uns alle gefährden", kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen.

Dann gibt es noch das Zwischenmenschliche und die Gefühlsebene. Menschen, die sich trotz eigener Schmerzen jahrelang regelkonform und vorbildlich verhalten haben, hören nur ungern vom Staatsoberhaupt, dass sie andere gefährden – bevor der Zusammenhang endgültig nachgewiesen ist.


Ich wünsche uns allen vom Herzen eine feierliche Welle
von Wohlwollen, Empathie und Versöhnung


Nun geht der Blick in die Zukunft. Weitere Herausforderungen warten auf uns. Eine Welle des gegenseitigen Verzeihens, der Empathie, des Wohlwollens und der Versöhnung baut sich in Deutschland auf. Ich wünsche diesem Land vom Herzen, dass sie auch die Spitzenpolitik bis hin zum Staatsoberhaupt erreicht, der inzwischen sanftere Töne spricht. Vor allem aber wünsche ich, dass Menschen untereinander das Geschehene mit freundlichen Worten und einem Lächeln aufarbeiten. Das menschliche Herz lacht und jubelt immer dann, wenn man sich aufrichtig in die Augen blickt.





* https://www.francetvinfo.fr/sante/maladie/coronavirus/covid-19-jean-francois-delfraissy-a-des-regrets-dans-la-gestion-de-la-pandemie-qui-n-est-pas-terminee_5286412.html
** https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus242460083/Freiheit-und-Corona-Der-Ablasshandel-der-deutschen-Moral-Haeuptlinge.html
*** https://www.br.de/nachrichten/bayern/csu-und-freie-waehler-uneins-fuer-corona-massnahmen-entschuldigen,TOleXSk
**** https://www.welt.de/kultur/plus242038113/Corona-Wir-muessen-ueber-die-Tyrannei-der-Ungeimpften-reden.html
***** https://www.express.de/politik-und-wirtschaft/karl-lauterbach-bereitet-deutschland-auf-super-virus-vor-84610?cb=1644246497112
****** https://www.n-tv.de/politik/Steinmeier-Ungeimpfte-gefaehrden-uns-alle-article22927876.html
******* https://www.br.de/nachrichten/meldung/ausgangssperren-in-bayern-waren-unverhaeltnismaessig,300520cce





6.02.2022
Die persönliche Exit-Strategie
Kommentar: Was gesund und glücklich macht
Unsere Sonne ist aufgegangen. Es gibt eine Exit-Strategie für alle. Sie kommt nicht aus der Politik. Sie entsteht in der inneren Haltung. Das Virus ist weiterhin da. Es muss aber kein Teil der Gedanken- und Gefühlswelt sein. Ob Geimpft, Nichtgeimpft oder Genesen: Wer im Rahmen der Möglichkeiten sein Leben vernünftig und fröhlich lebt, bleibt stark, gesund und glücklich. Der Fokus fällt auf das, was man schätzt und genießt – nicht auf das, was man gerade vermisst. Eine warme Dusche steht uns alltäglich zur Verfügung. Andere Menschen träumen davon.


Wer vernünftig und trotzdem unbeschwert so gut es geht sein Leben lebt, bewahrt das Lächeln und die Sonne im Herzen


Wie behält man die Sonne im Herzen ausgerechnet in dunklen, unsicheren Zeiten? Ein Dankbarkeits-Tagebuch etwa lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was heute gut gelaufen ist. Eine gute Ergänzung: Was ich beigetragen habe damit vieles gut gelaufen ist. Wenn sich Gedankenkreise aus eigenen Sorgen immer weiter drehen, durchbricht man sie mit Empathie für andere Menschen. Welcher Freund könnte jetzt etwas Aufmerksamkeit oder eine kleine Hilfestellung benötigen?

Vor allem Schüler, Studenten oder Berufstätige werden im Alltag oft an die Ausnahmesituation erinnert: Hier der Test, da die Maske, und drüben strenge Zugangsregeln. Das lässt sich nicht ändern. Doch alles, was darüber hinaus geht, entscheidet jeder für sich. Der Medienkonsum ist entscheidend. Experten empfehlen: Wenn überhaupt, sollte man nur einmal täglich zu einer festen Uhrzeit Nachrichten lesen. Bei der Maximaldauer von wenigen Minuten ist Disziplin von Vorteil. Es geht idealerweise nur um das, was mich direkt betrifft. Sobald ich politische Meinungsäußerungen lese, die in mir Emotionen wecken, ist es bereits zu viel.


Man kann Talkshows mit Karl Lauterbach anschauen. Man muss aber nicht


Das prominenteste Beispiel ist wohl Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Bei allem Respekt für seine Arbeit: Ein bewusster Verzicht auf seine Interviews bewirkt Wunder. In manchen Menschen rufen die Statements Angst hervor, in anderen wiederum Ärger. Beide Emotionen sind nicht gerade förderlich für das Wohlbefinden und das Immunsystem. Wer sich zu lange mit Angst oder Missgunst beschäftigt, verpasst die schönen Momente, für die wir jeden Tag dankbar sein können. Genau das ist die gesundheitliche Sackgasse von allen, die lautstark protestieren oder lautstark Nichtgeimpfte beschuldigen. Man kann ausgeprägte Angst vor dem Virus empfinden. Man kann exzessiv andere Menschen kritisieren. Natürlich ist vieles in der Politik und in der Gesamtgesellschaft unglücklich gelaufen. Es gab Zumutungen, es gab Konflikte, es gab richtige Schmerzen. Die zentrale Frage bleibt aber, ob solche Gedanken in meinem persönlichen Leben hilfreich sind. Irgendwann muss ein neues Kapitel kommen. Das Leben ist zu kurz und zu wertvoll.

Das Leben, die Lebensfreude: sie findet jetzt statt. Wenn ich sie zulasse. Wenn ich mich bewusst für sie entscheide. Gutscheine für zusätzliche Lebenszeit gibt es hinterher nicht. Wir können das Beste aus dem machen, was in unserer Hand liegt. Und das ist überraschend viel!


Ich entscheide mich bewusst für Lebensfreude







5.02.2022
Wo bleibt die Zuversicht?
Ein Kommentar zur Verantwortung der Medien
"Bloß nicht zu viel Hoffnung verbreiten, sonst werden die Menschen noch unvernünftiger". Mit solchen Sätzen wurde ich im Frühjahr 2020 in den sozialen Medien zurückgepfiffen. Was hatte ich getan? Nur das, was man Journalismus nennt. Eigentlich. Fakten, Tiefgründe, Zusammenhänge und niveauvolle Meinungsbeiträge. Eine differenzierte Herangehensweise, die alle Facetten und Nuancen beleuchtet. Ernsthaftigkeit ohne Alarmismus und Kritik ohne Polemik. Diese elementaren Grundsätze gelten auch in einer weltweiten Pandemie. Eigentlich.

Am Anfang ging es darum, dass Politik und Wissenschaft über die Medien die Menschen erreichen und die wichtige Botschaft einer ernsten Notsituation rüberbringen. Die Worte der Kanzlerin haben gewirkt, die Bilder aus Bergamo ebenso. Das war wichtig. Doch wenn zwei Jahre später der Tenor des Alarms immer noch fast derselbe ist, dann haben Politik, Wissenschaft und Medien die Zeichen der Zeit übersehen. Anders lässt sich die "furchterregende Talkshow" im ZDF am 13.01.2022 nicht erklären. Zu Gast bei Maybrit Illner war unter anderem die Virologin Melanie Brinkmann. WELT-Autor Frank Lübberding entschlüsselte die Einseitigkeit und Ungenauigkeit von Brinkmanns Fokus ebenso wie die die offenkundig unkritische Haltung der Moderatorin Illner. Zusammenfassend attestierte Lübberding eine "wissenschaftliche und journalistische Bankrotterklärung."*


Meldungen der Angst wurden posaunt, Meldungen der Hoffnung wurden geflüstert – oder weggelassen


Warum traute sich Illner nicht, allzu kritische Fragen zu stellen? Vielleicht hatte sie das Interview mit dem Virologen Christian Drosten in der Süddeutschen Zeitung vom 23.12.2021 gelesen. Der Institutsdirektor an der Charitι in Berlin sah die Medien mitverantwortlich für die schlechte Bewältigung der Coronapandemie. Vor allem in den Sommermonaten hätten sie "der breiten Bevölkerung suggeriert, dass das Problem viel kleiner ist als es in Wirklichkeit ist." *** Dabei verkennt er, dass die Berichterstattung die gesamtgesellschaftliche Wirklichkeit wiederspiegeln soll. Hierzu gehört nicht nur die Wissenschaft, sondern auch etwa die Wirtschaft, Soziales und die Stimmung in der Bevölkerung.

Um Vorwürfe wie von Drosten auszuschließen, um auf der Sicheren Seite zu sein, betonen die allermeisten seriösen Medien auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie lieber die besorgniserregenden Aspekte. Der potenzielle Imageverlust ist so geringer. Trotzdem werden sich Medienleute im Rückblick auf die Pandemie der Frage stellen müssen: Ist eine andauernde und systematische Überschätzung der Gefahrenlage mit journalistischen Grundsätzen vereinbar?


Der verstärkte Fokus auf den Worst-Case-Fall hat in Deutschland System


Beim Auftauchen einer neuen Mutation spitzt sich der Alarmismus jedes Mal zu. Am Anfang sind Informationen spärlich. Es entstehen verschiedene Szenarien. Und wenn die deutsche Corona-Politik einen roten Faden hat, dann ist das der Fokus auf das Worst-Case-Szenario. Sobald die Berechnungen von der Wirklichkeit überholt werden, kommt die nächste Mutation und die nächste pessimistische Berechnung. Beherztes, bedachtes Handeln muss im Angesicht des Worst-Case-Falls vorsorgen. Doch die Übervorsicht auf der Basis von Horrorszenarien aus Pi mal Daumen helfen uns als Gesellschaft nicht weiter. Dafür sind die Kollateralfolgen der Gegenmaßnahmen zu massiv.


Horrorszenarien, die aus Pi mal Daumen gerechnet wurden, helfen uns nicht weiter


Ein Großteil Europas sieht in den relativ milden Verläufen von Omikron eine Chance und passt ihre Politik an. Deutschland bleibt vorsichtig bis übervorsichtig. Politiker(innen) und Wissenschaftler(innen) bremsen die Hoffnungen auf Normalität mit Verweis auf eine Immunitätslücke, die in der Omikron-Welle erst recht niemand seriös beziffern kann. Der Rundfunk fühlt sich gemüßigt, den Menschen zu erklären, dass die Krankheit trotz "milder Verläufe" weiterhin gefährlich ist. Das ZDF fasst zusammen: "Mild ist nicht gleich harmlos". ** Als wäre die Pandemie erst gestern aufgetauscht. Als wären wir naive, unwissende Bürgerinnen und Bürger, die nicht in der Lage sind, einen Begriff einzuordnen. In Wirklichkeit sind wir mündig und intelligent. Außerdem hat ein bedeutender Teil der Bevölkerung bereits am eigenen Körper gespürt, wie Omikron tatsächlich verläuft.

Die Neigung zur ausgeprägten Besorgnis scheint zunehmend eine typisch deutsche Erscheinung zu sein. Bei vergleichbarer Infektionslage titeln deutsche Zeitungen etwa "Inzidenz erneut drastisch gestiegen". In Bulgarien liest man hingegen die Überschrift: "Die heutigen Zahlen zum Coronavirus". Sicherlich tut die Philosophie von Karls Lauterbach ihr Übriges. Es lohnt sich, ihn auf Twitter zu folgen und zu beobachten, aus welchen Studien er zitiert und welche Studien er bewusst weglässt.


Für reißerische, irreführende Zeitungsüberschriften kann Karl Lauterbach auch nichts


Doch man macht es sich zu einfach, wenn man alles auf Lauterbach schiebt. In einem Interview mit der WELT am Sonntag sprach der Bundesgesundheitsminister am 8.01.2022 von einem hypothetischen zukünftigen Virus, das genauso infektiös wie Omikron und zugleich deutlich tödlicher sein könnte.**** Daraus machte der Online-Nachrichtenanbieter EXPRESS.DE folgende Überschrift: "Lauterbach bereitet Deutschland auf Super-Virus vor."***** Dass das keine journalistische Glanzleistung war, haben die Redakteure wohl selbst erkannt. Nachträglich wurde hinzugefügt, dass es sich lediglich um ein "mögliches" Super-Virus handelt.

Eine Studie der Uniklinik Essen passte überhaupt nicht ins Konzept des Karl Lauterbach. Die Daten aus 27 deutschen Kinderkliniken belegen, dass die Anzahl Jugendlicher mit Suizidversuchen auf Intensivstation in den Lockdown-Monaten im Frühjahr 2021 dreimal so hoch war wie vor der Pandemie. ****** Der Bundesgesundheitsminister zweifelte daran, dass der Lockdown ursächlich war. Daraufhin meldete sich die Stiftung Deutsche Depressionshilfe zu Wort. Hochrechnungen legen nahe, dass sich der Zustand von etwa zwei Millionen depressiv Erkrankter in Deutschland während der Pandemie verschlechtert hat. Als Hauptgründe für das "immense Leid" nennt Psychiater Prof. Ulrich Hegerl die Lockdown-Maßnahmen und die Verknappung fachärztlicher Angebote. ******* Es ist jedoch gut vorstellbar, dass die Berichterstattung in den Medien ebenfalls ihren Anteil hat. Worte und Bilder wirken. Leider auch auf die seelische Gesundheit. Ein dauernder Ausnahmezustand mit Sorgen, Warnungen, Worst-Case-Berechnungen und Einschränkungen scheint alles andere als gesundheitsfördernd zu sein.


Die Hoffnung ist längst da. Berechtigt und real. Wir müssen nur offen sein


Ich bleibe mir treu. Journalismus hat jedes Thema sachlich, niveauvoll, differenziert und kritisch zu behandeln. Das gilt für jedes Virus und für jede politische Entscheidung. Und wenn die Lage am bedrückendsten ist, brauchen die Menschen erst recht Hoffnung. Dringend. Hoffnung, die schon längst real und berechtigt ist, und die wir mit offenen Armen empfangen sollten.




* https://www.welt.de/kultur/medien/plus236231208/Maybrit-Illner-Eine-furchterregende-Talkshow.html
** https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-omikron-milder-verlauf-100.html
*** https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/coronavirus-drosten-omikron-interview-1.5495029
**** https://www.welt.de/politik/deutschland/plus236102242/Lauterbach-Naiver-Glaube-dass-Omikron-Ende-der-Pandemie-ist.html
***** https://www.express.de/politik-und-wirtschaft/karl-lauterbach-bereitet-deutschland-auf-super-virus-vor-84610?cb=1644246497112
****** https://www.merkur.de/welt/corona-virus-studie-300-prozent-steigerung-suizid-versuche-kinder-corona-lockdown-schulen-91227564.html
******* https://www.deutsche-depressionshilfe.de/presse-und-pr/pressemitteilungen?file=files/cms/downloads/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen%202022/stille-kathastrophe_psychisch-kranke-in-der-pandemie.pdf





15.12.2021
Kommentar: Dämmerung
Ich sehe eine Welle. Ich sehe aber auch das Ufer. Und ich sehe die wunderschöne Dämmerung. Eins ist klar: Unsere Sonne wird aufgehen! Sehr, sehr bald.





19.12.2021
Kommentar: Ausflug
Die Menschen wollen Hoffnung. Die Menschen wollen wieder etwas Lebensfreude. Die Menschen wollen aufatmen. Die Menschen wollen einfach ganz in Ruhe ihr Leben leben.





22.11.2021
Kommentar: Raue See
Die Herbstsonne lacht. Es wütet eine Welle nach der anderen. Ein guter Mensch sucht nach Lösungen, nicht nach Schuldigen.





20.11.2021
Kommentar: Nebeldecke
Die Herbstsonne lacht. Der Nebel umhüllt das ganze Land. Ein guter Mensch sucht nach Lösungen, nicht nach Schuldigen.





20.11.2021
Kommentar: Ausbreitender Nebel
Die Herbstsonne lacht. Der Nebel breitet sich aus. Ein guter Mensch sucht nach Lösungen, nicht nach Schuldigen.





12.11.2021
Kommentar: Zäher Nebel
Die Herbstsonne lacht. Der Nebel ist zäh. Ein guter Mensch sucht nach Lösungen, nicht nach Schuldigen.





10.11.2021
Kommentar: Rauer Wind
Die Herbstsonne lacht. Der Wind ist rau. Ein guter Mensch sucht nach Lösungen, nicht nach Schuldigen.





7.11.2021
Kommentar: Freundschaften für die Demokratie
Wo Meinungsfreiheit herrscht, begegnen sich unterschiedliche Ansichten. Das gehört in einer freiheitlichen Demokratie zum Alltag dazu. So gab es schon immer Reibungen: zwischen Veganern und Nicht-Veganer oder zwischen Autofahrern und Bahnfahrern. Doch die verbissene Heftigkeit der jetzigen Impfdebatte, die bis in die Familien hineinragt, ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellos.


Es gab schon immer Veganer und Nicht-Veganer, Autofahrer und Bahnfahrer. Doch die Verbissenheit der Impfdebatte übertrifft alles


Gemäßigte, differenzierte Ansichten sind in jeder Debatte eine Wohltat. Sie sorgen für Sachlichkeit und fördern die anständige Gesprächskultur. Sie versöhnen Menschen. Gefährlich wird es hingegen, wenn Menschen eine extreme Meinung weiter verfestigen. Soziale Netzwerke stehen derzeit in der Kritik, weil sie genau das fördern. Die Algorithmen erkennen schnell etwa, ob eine Person eher links oder eher rechts gestimmt ist. Damit sich die Nutzer wohlfühlen, erhalten sie immer mehr Inhalte und Freundschaftsvorschläge, die in ihre Richtung tendieren. Die gefilterten Inhalte sorgen dafür, dass das Thema nicht von allen Seiten sichtbar ist. Man sieht nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit und lebt in einer so genannten Filterblase. Gegenteilige Ansichten, die zur unvoreingenommenen Meinungsbildung und zur Mäßigung wichtig wären, bekommen die Nutzer nicht angezeigt. Am Ende dieser Spirale steht manchmal die Radikalisierung.


Mit 2G macht die Politik genau den Fehler, für den sie Google und Facebook kritisiert: die Filterblase


Nun ist die Politik drauf und dran, ebensolche Verwerfungen im gesellschaftlichen Leben zu fördern. Je seltener sich Geimpfte und Ungeimpfte begegnen, desto mehr tauschen sie sich womöglich nur innerhalb ihrer Gruppe aus. Auf einer 2G-Veranstaltung herrscht beim Thema "Impfen" schnell Einigkeit. Dasselbe – mit konträrem Meinungsbild – passiert auf einer Hausparty für Ungeimpfte. Je mehr sich Ansichten verstärken, desto weniger Verständnis hat man für die, die nicht anwesend sind. Der Riss mitten durch die Gesellschaft wird größer.


Miteinander reden fördert die Solidarität.
Übereinander reden fördert die Radikalisierung


Genau das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Wenn Menschen unterschiedlicher Meinung nicht miteinander sondern über einander reden, wird der Ton rauer – bis es irgendwann knallt. Eine moderne Demokratie lebt von der Pluralität und von Debatten. Ein toleranter, verständnisvoller Ton ist überlebensnotwendig, um alle Menschen im gemeinsamen Boot zu behalten. Man muss nicht alle Meinungen schön heißen. Doch der konstruktiv-kritische Austausch, ohne den anderen abzustempeln und anzufeinden, gehört zum Anstand dazu. Die Toleranz, die man von anderen einfordert, muss man von sich aus genauso walten lassen.


Freundschaften zwischen Geimpften und Ungeimpften sind überlebensnotwendig für unsere Demokratie


Im Sozialleben werden nun die Corona-Auflagen mit unterschiedlichem Zutritt für Geimpfte und Ungeimpfte zu einer kleinen, aber alltäglichen Herausforderung. Sie gelten dienstags in der Mittagspause und sonntags im Sportverein. "Aus den Augen, aus dem Sinn" können wir uns gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit nicht leisten. Um dieses Land zusammenzuhalten, müssen wir aktiv gegensteuern. Freundschaften, die es wert sind, umso mehr pflegen und gestalten.

Freundschaften sind Lebensfreude. Wer sie auch bei unterschiedlichem Impfstatus pflegt, baut eine starke Säule, die unsere Demokratie stützt. Lassen wir die Frage hinter uns, wer und wie die Menschen gespalten hat. Es liegt an uns, sie wieder zu versöhnen.


Es liegt an uns, diese Gesellschaft zu versöhnen






30.10.2021
Kommentar: Je kälter die Nacht, desto schöner der Sonnenaufgang
Seit eineinhalb Jahren ist das Virus allgegenwärtig in unserem Alltag. Millionen von uns haben Angehörige verloren oder um das eigene Leben gerungen. Millionen von uns haben am Limit gearbeitet – etwa in Krankenhäusern, Supermärkten oder Kindertagesstätten. Millionen von uns haben zeitweise in Quarantäne ausgeharrt, gehofft und gebangt beim Warten auf Testergebnisse. Doch die Wunden des Einzelnen und der Gesellschaft gehen oft weit über die gesundheitlichen Aspekte hinaus. Man denkt sofort an die Volkswirtschaft und an die Bildungschancen. Wer zu Ende denkt, gelangt zu den alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen.


Die Pandemie findet nicht nur in den Krankenhäusern statt.
Sie macht was mit uns allen


Am Anfang waren große Sorgen und beeindruckende Hilfsbereitschaft. "Wir bleiben zu Hause" war das Motto. Doch die Hoffnung, dass nach drei Wochen Kontaktreduzierung alles wieder beim Alten ist, wurde schnell enttäuscht. Die zunehmende Dauer der Ausnahmesituation zehrte an der Substanz des Einzelnen und der Gesellschaft. Wir mussten Bilder unschöner Demonstrationen ertragen. Bis heute ist es der Politik und der Gesellschaft nicht gelungen, diese Menschen auf versöhnliche Art und Weise wieder ins Boot zu holen. Stattdessen wurde gemahnt, polarisiert und gespalten – von vielen Seiten. Zu vielen.

Dass der Schutz von Leben und Gesundheit Vorrang hat, ist gesellschaftlicher Konsens. Kontaktreduzierung war und ist notwendig. Doch Einsamkeit tut weh. Mediziner sind sich einig, dass sie auf Dauer zahlreiche gesundheitliche Risiken erhöht. * Die immer strengeren Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen wurden zum Teil mit der Unvernunft einer Minderheit begründet. Dass ein Großteil der Bevölkerung keine einzige Verordnung braucht, um das Leben vernünftig zu leben, wurde beim Beschließen der Einschränkungen kaum gewürdigt.


Millionen Menschen brauchen weder Verordnungen noch Warnungen und Mahnungen, um ihr Leben vernünftig zu leben. Trotzdem mussten sie darunter leiden


Einige wenige brachen die Regeln und hatten Spaß als wäre nichts gewesen. Die überwiegende Mehrheit hielt sich an den Beschränkungen. Sie leistete sogar viel mehr Verzicht als es der Staat vorgeschrieben hatte – zugunsten der Solidarität und zulasten der Lebensfreude. Genau diese vorbildlichen Menschen blieben monatelang einsam und bedrückt. Ihre Freiheiten wurden gar im Übermaß eingeschränkt. Mit dem Ziel, illegale Partys zu unterbinden, verbat man auch die abendliche Joggingrunde. Wirksamer Gesundheitsschutz ist, wenn der einsame Jogger joggt während der Partygänger zu Hause bleibt – nicht andersherum! Heute gibt Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) zu, "es lässt sich über diese oder jene Maßnahme trefflich streiten" – und meint in erster Linie die Ausgangsbeschränkungen. **


Wirksamer Gesundheitsschutz ist, wenn der einsame Jogger joggt während der Partygänger zu Hause bleibt. Nicht andersherum!


Mit Virusmutationen erreichten die Hiobsbotschaften und die Sorgen immer wieder höhere Stufen. Die Spitze des Eisbergs war die Debatte darum, ob Bürgerinnen und Bürger in mehr als 15 Kilometern Entfernung einen Ausflug unternehmen sollten. Dass das Infektionsrisiko bei einem Familienspaziergang eher gering ist, blieb weitgehend unbeachtet. Man kann sieben Kinder auf einem Rodelhügel als eine unerlaubte Menschenansammlung sehen. Man kann aber auch das große Ganze sehen. Die Pandemie belastet die Menschen mehr als genug. Man muss es ihnen nicht zusätzlich schwer machen, durch diese dunkle Zeit zu kommen. Im Frühjahr 2021 warnte ich in diesem Blog vor einer dramatischen Zuspitzung psychischer Krankheiten aufgrund der monatelangen Einschränkungen. Leider mit Recht. Wenige Wochen später wurde bekannt, dass Kinderpsychiatrien gezwungen sind, die Triage anzuwenden. *** Im heutigen Interview mit der FAS betont Merkel, sie wusste "zu jedem Zeitpunkt, dass es für Kinder und Jugendliche besonders bitter war". ** Diese Empathie tut gut. Dennoch muss sich Merkel die Frage gefallen lassen, warum ausgerechnet sie im vergangenen Winter den Vorschlag machte, dass Kinder im Lockdown je nur einen festen Kumpel treffen. ****


Die rekordverdächtig niedrige Hemmschwelle zur Empörung schadet der Sachlichkeit wichtiger gesellschaftlicher Debatten


Je länger die Pandemie dauerte, desto mehr knabberte sie an das, was uns stark macht: die Solidarität. Wir kamen zum Beispiel in einer Situation, in der Künstler und Ärzte verbittert gegeneinander argumentierten. Erneut polarisierte die Politik mehr als dass sie versöhnte. Bis heute ist es uns nicht gelungen, Debatten sachlich und gelassen zu führen. Virologen werden angefeindet. Menschen mit gewagten Meinungsäußerungen ebenfalls. Die niedrige Hemmschwelle zur Empörung ist Gift für jede notwendige gesellschaftliche Debatte. Wer Gelassenheit von anderen fordert, muss sie in gleichem Maße leben. Was uns weiterbringt, ist die Suche nach Lösungen – nicht nach Schuldigen.


Wie in einem schlechten Traum wiederholen sich die Konflikte 2021.
Dieses Mal geht es um die Impfentscheidung


2020 fanden sich Befürworter, gemäßigte Kritiker und radikale Gegner der Corona-Maßnahmen plötzlich in derselben Familie oder im Freundeskreis. Es entstanden Millionen kleine Risse in unserer Gesellschaft, die zu einer großen Wunde aufsummieren. Verzweifelt warf ich in diesem Blog die Frage auf, ob es eine vernünftige Mitte gibt zwischen panischer Angst und pauschaler Wut. Wie in einem schlechten Traum, wiederholen sich 2021 ganz ähnliche Konflikte. Dieses Mal geht es um die Impfentscheidung. In der Familie, im Arbeitsteam, im Sportverein. Das volle Programm. Schau her, hier ein Vordrängler, da ein Zögerer und drüben ein kompletter Verweigerer. Allein die Wortwahl ist eine Bankrotterklärung für jede Empathie und jedes Fingerspitzengefühl im zwischenmenschlichen Umgang. Sie ist keineswegs nur Umgangssprache. Die Tageszeitungen und Fernsehkanäle machen munter mit.


"Vordrängler, Zögerer, Verweigerer":
Die Wortwahl zeigt, wie tief wir angekommen sind


Niemand erwartet von Politikerinnen und Politikern, dass sie auf jede Herausforderung, auf jede Notsituation, sofort die perfekte Lösung parat haben. Doch in einer Phase der kritischen Reflexion dürfen Empathie und Selbstkritik nicht zu kurz kommen. Merkel macht heute einen guten Anfang. Doch bis die Pandemie aufgearbeitet und die Wunden verheilt sind, wird es womöglich ein Leben lang dauern.

Und wir sind immer noch mittendrin. Das Infektionsgeschehen intensiviert sich, Menschen erkranken schwer und manche verlieren ihr Leben. Angesichts dieser Entwicklung ist eine Debatte über 2G bereits absehbar. Ihre Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die zwischenmenschliche Solidarität leider auch. Jede noch so gut gemeinte Maßnahme muss sorgfältig abgewogen werden. Wo der Blick aufs große Ganze gefragt ist, kann jede noch so eindeutige Statistik nur ein Teil der Wahrheit sein.


Die Debatte um 2G ist absehbar. Ihre Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leider auch


Dieser Beitrag dient allerdings nicht nur der Aufarbeitung von Schmerzen. Je kälter und je dunkler die Nacht, desto ersehnter und wärmer der Sonnenaufgang. Die Übergangsregelung nach dem Ende der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" soll gemäß SPD, Grüne und FDP am 20.03.2021 auslaufen. Zweifelsohne wird das Virus auch am Folgetag noch da sein. Doch den zusätzlichen Ballast, alles was tief einschneidend ist, könnten wir dann abwerfen. Keiner bestreitet, dass womöglich auch darüber hinaus gewisse Schutzmaßnahmen notwendig sein werden. Auf zwei weitere Wochen kommt es nicht an. Auf zwei zusätzliche Jahre hingegen schon – denn genauso viele werden es bis dahin sein, die wir gemeinsam tapfer in einer Ausnahmesituation durchgehalten haben. Ein Freedom Day wäre das richtige Signal für Millionen von Menschen, die trotz Entbehrungen weiterhin die Zähne zusammenbeißen und vorbildlich agieren. Vorausgesetzt, die Virusmutationen bleiben beherrschbar, sollten wir Stück für Stück den staatlichen Gesundheitsschutz durch Eigenverantwortung ersetzen.


Die Perspektive auf ein Freedom Day im Frühling 2022 wäre das richtige Signal für Millionen Menschen, die trotz Entbehrungen weiterhin die Zähne zusammenbeißen



* https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7896160/
** https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/merkel-im-interview-ueber-fluechtlinge-die-csu-den-zustand-der-welt-und-ihr-blick-aufs-aelterwerden-17609086.html
*** https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-kinderaerzte-schuloeffnungen-triage-100.html
**** https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/ein-freund-regel-corona-100.html





24.10.2021
Kommentar: Die gute Stadtverwaltung
Janine ist eine vorbildliche, liebenswürdige junge Frau. Die gebürtige Dresdnerin absolviert zurzeit eine Schauspielausbildung in Berlin. Einen Großteil ihrer Freizeit widmet sie dem Ehrenamt. Sie unterstützt die Anstrengungen gegen Hunger und Krankheiten bei Kindern weltweit. Außerdem ist sie auf kommunaler Ebene politisch aktiv und lebt ihre Überzeugung: die soziale Gerechtigkeit.

Unweit von Janines Wohnung im Berliner Stadtteil Steglitz ist eine berühmt-berüchtigte Fußgängerampel. Aus unerklärlichen Gründen ist sie so eingestellt, dass sie am späten Abend mindestens drei Minuten braucht, um auf Grün zu schalten, nachdem Fußgänger den Knopf gedrückt haben. Die Steglitzer Einwohner kennen die Ampel sehr gut. Spätabends queren sie die Straße entweder bei Rot oder leicht versetzt zur Ampel. Janine bleibt allerdings den Prinzipien treu. Sie wartet immer bis die Ampel auf Grün schaltet. Sie wünscht aber, dass der Missstand behoben wird. Spätabends fahren doch kaum Autos. Warum müssen Fußgänger so lange auf das Grün warten? Es muss doch möglich sein, die Ampelschaltung anzupassen. In einem Brief an die Stadtverwaltung erklärt Janine: Mit einer vernünftigen Wartezeit würden sich die Menschen wieder an die Ampel halten. Das würde die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer und das Vertrauen in die Straßenverkehrsordnung im Stadtteil Steglitz deutlich verbessern.


Wer vernünftige Regelungen sät und die Menschen
ernst nimmt, wird Akzeptanz ernten


Wie diese erfundene Geschichte weitergeht, entscheidet sich in der Stadtverwaltung.


Variante 1

Die gute Stadtverwaltung liest Janines Brief aufmerksam. Prompt kommt ein Anruf mit der Einladung, gemeinsamen mit Vertretern von Ordnungsamt und Polizei die Ampel am späten Abend zu beobachten. Ein paar Tage später ist es soweit: Janine erklärt die Situation vor Ort und die Beamten erkennen die Problematik. Sie öffnen den Schaltkasten und stellen die Technik um. Ab jetzt springt die Ampel spätabends wenige Sekunden nach dem Knopfdruck schon auf Grün. Der regierende Bürgermeister lobt Janine dafür, dass sie mit offenen Augen durch die Welt geht und die Stadt auf die Ampelproblematik hingewiesen hat. Die Geschichte spricht sich um. Die Steglitzer passieren die Ampel nur noch bei Grün. Bekannte und fremde Menschen danken Janine, dass sie den Mut hatte, das auszusprechen, was alle anderen genauso dachten. Der regierende Bürgermeister gewinnt weiter an Sympathie in der Bevölkerung. Er hatte diesen Hinweis aus der Bevölkerung ernst genommen und zeitnah eine vernünftige Lösung gefunden. Durch die neue Schaltung passieren keine Zwischenfälle mehr an der Ampel.


Variante 2

Die schlechte Stadtverwaltung reagiert empört über Janines Brief. Sie wird angemahnt, die Straßenverkehrsordnung nicht in Frage zu stellen. In einer Pressekonferenz äußert der regierende Bürgermeister deutliche Kritik an Janine. Anschließend rechnet ein Statistiker vor, wie viele Menschenleben durch den Einbau von Fußgängerampeln bereits gerettet wurden. Der regierende Bürgermeister warnt, solche Diskussionen kämen wie Wind in den Segeln aller Kritiker der Straßenverkehrsordnung. Außerdem werde Janines Brief von einer Stadtratsfraktion am rechten Rand bejubelt, die den Bürgermeister schon immer bloßstellen wollte. Schnell hat man mit Janine eine Frau gefunden, die indirekt mitverantwortlich ist für Unfälle im Straßenverkehr. Politiker aus der ganzen Republik melden sich im Fernsehen oder im Internet zu Wort. Janine solle bitte einen Tag lang anschauen, wie Verkehrsopfer auf Intensivstation um ihr Leben kämpfen. Experten warnen vor einer Radikalisierung der Ampel-Gegner. "Heute stellen sie Fußgängerampeln in Frage. Morgen gefährden sie unsere gesamte Demokratie." Janine muss sich mehrmals pro Woche in Diskussionsrunden im Fernsehen rechtfertigen. Niemand erinnert sich mehr an ihr bisheriges soziales Engagement. Mühsam wiederholt sie jedes Mal, dass sie von der Straßenverkehrsordnung überzeugt ist und ihr das Leiden der Opfer bewusst ist. Sie hilft einen Tag lang auf der Intensivstation mit. Sie betont, wenn ihr Anliegen ernst genommen wird, wäre das ein Gewinn für die Verkehrssicherheit. Doch die Diskussion verpufft jenseits des eigentlichen Themas. Die Steglitzer ignorieren weiterhin die Fußgängerampel. Ein junger Mann, der leicht angetrunken von einer Party heimgeht, wird eine Woche später von einem Auto tödlich verletzt.

Sämtliche Ähnlichkeiten zu realen Schauspielern und Geschehnissen sind womöglich rein zufällig. Womöglich auch nicht.






6.10.2021
VGH: Bayerische Ausgangsbeschränkungen unverhältnismäßig
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat vorgestern die Ausgangsbeschränkungen vom März bis April 2020 für unwirksam erklärt. Das Urteil im Hauptsachverfahren begründe der Senat mit dem so genannten Übermaßverbot. Wenn mildere Mittel genügen, sind strengere Mittel unzulässig. Konkret wären nach Auffassung des VGH Kontaktbeschränkungen in der damaligen Situation ausreichend, wodurch Ausgangsbeschränkungen unnötig und daher unverhältnismäßig waren. Selbst in einer akuten Phase der Pandemie sehen die Richter keinen Grund, den Aufenthalt im Freien für Einzelpersonen oder Angehörige desselben Hausstands einzuschränken. Wer allein spazieren geht und dabei auf einer Parkbank ein Buch liest, treibt das Infektionsgeschehen nicht an.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, dass staatliche Maßnahmen stets geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen. Es reicht nicht aus, ein richtiges Ziel zu verfolgen. Die Maßnahmen müssen auf das konkrete Ziel zugeschnitten sein. Ausgangsbeschränkungen waren nach Ansicht des VGH geeignet im Sinne des Infektionsschutzes, doch Kontaktbeschränkungen wären in derselben Art und Weise geeignet gewesen. So ist die staatliche Verwaltung verpflichtet, das Mittel zu wählen, was die Bürgerinnen und Bürger weniger belastet.


"Es wurde nicht generell, aber doch teilweise ziemlich irrational, widersprüchlich, kopflos und im Übermaß reagiert"

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, im Interview mit der "Welt"


Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, mahnte im Interview mit der "Welt" eine kritische Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen an. Dass dringend gehandelt werden musste, stellt Papier nicht infrage. Zum Teil habe die Politik jedoch "ziemlich irrational, kopflos und im Übermaß reagiert." Ein kritischer Rückblick auf die Maßnahmen solle dazu dienen, das teilweise "beschädigte Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates und die Rationalität seiner Entscheidungen" zurückzugewinnen.

Die Bayerische Staatsregierung hält die damalige Ausgangsbeschränkung weiterhin für wirksam und rechtskonform. Sie erwägt die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Ebenfalls mit Spannung wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Hauptsachverfahren zur Corona-Notbremse vom April 2021 erwartet. Die Karlsruher Richter kündigten an, spätestens im November dieses Jahr das Urteil zu sprechen.






6.09.2021
Nachteile für Ungeimpfte kein Thema beim Wahl-O-Mat (R)
Seit einigen Tagen können Wählerinnen und Wähler ihre persönlichen Ansichten zu wichtigen Themen mit Stellungnahmen der Parteien vergleichen, die zur Bundestagswahl antreten:

https://www.wahl-o-mat.de/bundestagswahl2021/app/main_app.html

Der interaktive Wahl-O-Mat (R) wird von der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) angeboten. Seit 2002 ist er eine wichtige Entscheidungshilfe für Millionen Wahlberechtigte in Deutschland. Die Themen, zu denen Thesen formuliert sind, werden von einem Redaktionsteam ausgewählt. Dieses setzt sich zusammen unter anderem aus Jung- und Erstwählerinnen und -wähler sowie Expertinnen und Experten im Bereich Politikwissenschaft, Statistik und Bildung.

Die Corona-Pandemie ist im diesjährigen Wahl-O-Mat (R) direkt mit einer Frage zum Patentschutz für Impfstoffe vertreten. Indirekt ist sie bei anderen Thesen sehr präsent: etwa bei der Schuldenbremse, bei den Fallpauschalen für Krankenhäuser sowie beim Homeoffice. Ein Thema, das viele Menschen derzeit bewegt, ist jedoch nicht aufgeführt: Einschränkungen für Ungeimpfte. Wie kam das Redaktionsteam zu dieser Entscheidung?


"Mit mehrjährigem Zeithorizont sind gegebenenfalls u.a. Einschränkungen von Ungeimpften – hoffentlich – nicht von herausgehobener Relevanz"

Eine Pressesprecherin der Bundeszentrale für politische Bildung


Auf dem ersten Blick erfüllt das Thema sämtliche Kriterien für den Wahl-O-Mat. Diese sind laut bpb die Relevanz, die Verständlichkeit und kontroverse Positionen der Parteien. Die Thesen müssen "ein möglichst breites Spektrum an Menschen im Land interessieren oder sogar betreffen". Sie dürfen zudem nicht zu kompliziert sein. Im Idealfall verdeutlichen sie unterschiedliche Positionen der Parteien. Warum ist also der Umgang mit Ungeimpften nicht vertreten?

Auf Anfrage teilte die bpb mit, dass Eindämmungsmaßnehmen zu Covid-19 aktuell "von schnellen Konjunkturen geprägt" sind. Der Wahl-O-Mat (R) hat hingegen, ebenfalls wie die Parteiprogramme, einen anderen Anspruch. Er soll Maßnahmen behandeln, welche die kommenden Jahre betreffen, "weit über den Wahltag hinaus". Mit diesem Zeithorizont seien laut einer Pressesprecherin "einige der aktuell diskutierten Maßnahmen – hoffentlich – nicht mehr von herausgehobener Relevanz".







30.08.2021
3G-Regel in Fernzügen vorerst vom Tisch
Nicht notwendig, nicht umsetzbar: Das Innen-, Verkehrs- und Gesundheitsministerium des Bundes erteilten der Einführung der 3G-Regel im Eisenbahnverkehr eine klare Absage. Das Kanzleramt hatte die Ministerien um Prüfung gebeten. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel befürwortet weiterhin, dass nur geimpfte, genesene oder getestete Fahrgäste mitfahren dürfen. Wesentliche Aussagen des Prüfberichts der Ministerien werden vom Rundfunk zitiert. Einerseits sei die Regel aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht notwendig. Mehrere wissenschaftliche Studien bescheinigen dem Eisenbahnverkehr kein signifikant erhöhtes Ansteckungsrisiko, zumal das Tragen von Masken wirke. So wäre die 3G-Regel unverhältnismäßig.


"Das Wesensmerkmal des öffentlichen Nah- und
Fernverkehrs ist der freie Zugang"


Aus dem Prüfbericht der Bundesministerien für Gesundheit, Inneres und Verkehr


Andererseits wären die Umsetzung bzw. die Kontrolle der Maßnahme kaum zu leisten. Die Bahngewerkschaft EVG beklagte, dass Eisenbahner bereits heute durch die Maskenpflicht vermehrt Konfliktsituationen ausgesetzt sind. Die Deutsche Bahn veröffentlichte zur 3G-Regel keine Pressemitteilung. Auf Anfrage bestätigte der Konzern, dass er der Bundesregierung eine Stellungnahme übermittelt hat. Diese sei sowohl auf die Sichtweise des Unternehmens als auch auf die der Kundinnen und Kunden eingegangen. Die Entscheidung über die Einführung einer solche Maßnahme obliege allerdings nicht der Bahn sondern der Bunderegierung.







23.08.2021
Corona-Prämie und alles gut?
Kommentar: Wertschätzung für die Heldinnen und Helden
Man kann sich den Zeitpunkt nicht immer aussuchen. Nach eineinhalb Jahren Lockdown und Corona-Frust ist der August 2021 für viele ein Moment des Durchschnaufens. Doch dann bleibt das Wetter meist durchwachsen. Und oben drauf streiken die Lokführer.


"Das Motto lautet natürlich: Streik schon, aber nicht
während der Arbeit und auch nicht im Urlaub"


Kabarettist Max Uthoff in der ZDF-Sendung "Die Anstalt" vom 28.10.2014


Erinnerungen werden wach an 2014 und 2015. Bereits beim damaligen Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) beklagte Kabarettist Max Uthoff eine tendenziöse Berichterstattung der Medien. Sie habe mangelnde Solidarität bis hin zu Beschimpfungen am Bahnsteig bewirkt. 2021 liegt zusätzlicher Zündstoff in der Luft. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach befürchtet, die wenigen überlasteten Züge begünstigen Superspreading. Beim Güterverkehr erheben Wirtschaftsvertreter die Stimme: Der zarte Aufschwung nach dem Lockdown dürfe nicht ausgebremst werden.

Die Sorgen sind berechtigt. Trotzdem ist es höchste Eisenbahn, in die Tiefe zu blicken. Dort sehen wir die Heldinnen und Helden, die wir im Frühjahr 2020 beklatscht haben. Diejenigen, die nicht ins Homeoffice konnten. Diejenigen, die auch nach den Worten der Bundeskanzlerin wortwörtlich "den Laden am Laufen hielten."


"Würden die Pflegekräfte höhere und gerechtere Löhne erhalten,
wäre eine Prämie wie diese überflüssig"


Christel Bienstein, Präsidentin des DBfK, im September 2020


Das naheliegendste war der Bonus für Pflegerinnen und Pfleger: die Menschen an der vordersten gesundheitlichen Front. Mit bis zu 1500 Euro musste Deutschland letztes Jahr den internationalen Vergleich nicht scheuen. Dennoch steckte der Teufel im Detail. Selbst die Ausweitung des Pflegebonus auf das Krankenhauspersonal im Herbst erreichte nicht alle Beschäftigte. Reinigungskräfte und Rehabilitationspersonal gingen leer aus.* Gleiches Schicksal ereilte Angestellte von Krankenhäusern, die in der ersten Welle zu wenige Covid-Patienten behandelten – selbst wenn sie in der zweiten Welle umso mehr Erkrankte behandelten. **

Sabine Karg, Pressesprecherin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), kritisierte im Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk die sattsam bekannten strukturellen Probleme. Angemessen wäre aus Sicht des DBfK ein Einstiegsgehalt für Pflegefachpersonen von 4000 Euro – auf die jetzt nicht einmal eine Intensivpflegerin nach 25 Jahren Berufsausübung komme. **


"Die Boni sind ja sehr schnell verpufft und haben nicht gebracht, was
sich die Pflege gewünscht hat, nämlich ganz nachhaltige Verbesserungen"


Georg Sigl-Lehner, Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern, im Februar 2021


Auch die Ankündigung eines neuen Pflegebonus im Frühjahr 2021 stieß auf geteiltes Echo. Etwa medizinische Fachangestellte in Arztpraxen oder das Personal am Empfang von Ambulanzen wurden nicht bedacht. Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk beklagt eine Krankenschwester, dass keine Bonuszahlung die Missstände wie Personalmangel und Überstunden löse. Ähnlich äußerte sich Georg Sigl-Lehner, Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. ***

Das Online-Portal "Regensburg Digital" berichtete im Juni 2021 von 50000 abgelehnten Anträgen auf Pflegebonus in Bayern, von denen knapp 900 in Klageverfahren übergingen. Die Details offenbaren die Schwierigkeit, gerechte Förderkriterien zu fassen. Honoriert solle laut Richtlinien insbesondere der menschliche Kontakt zu den sonst von der Außenwelt weitgehend isolierten Pflegeheimbewohnern. Ebenfalls betonten Politiker immer wieder, die Prämie soll das erhöhe Ansteckungsrisiko wiederspiegeln. Mehr Arbeit beim "Sowieso-Geschäft" reiche hingegen nicht für einen Anspruch auf Bonus. ****
Außerdem erinnern wir uns an die Hamsterkäufe und die Menschen, die die Regale wieder auffüllten und am Kassenband Schwerstarbeit leisteten. Die meisten Supermarktketten zahlten mehrere Corona-Prämien. Meist handelte es sich um Warengutscheine für den eigenen Laden – bei Rewe je 200 Euro für März und April 2020. Das ist zwar in dieser Branche üblich, doch in außergewöhnlichen Zeiten hätte man sicher auch Bargeld auszahlen können. Im November 2020 bekamen Beschäftigte von Rewe und Penny Reisegutscheine – in einer Zeit, in der kaum jemand ans Verreisen dachte. Immerhin sind diese drei Jahre lang gültig. ***** Auch im Lebensmittelhandel ist die grundsätzliche Situation nahezu identisch zur der vor der Pandemie: niedrige Löhne und familienunfreundliche Schichtarbeit. Der Vorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, machte hierauf aufmerksam – am Ende eines Jahres, das dem Lebensmittelhandel Rekordeinnahmen bescherte.


"Es darf nicht sein, dass sich die Eigentümer der Supermarktketten in der Corona-Krise die Taschen voll hauen, und bei den Verkäuferinnen und Verkäufern, die täglich am Anschlag arbeiten und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, kommt nichts an."

Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, am 25.11.2020


Zurück zur heutigen Baustelle, dem Bahnbetrieb. Die Deutsche Bahn (DB) signalisierte gestern Verhandlungsbereitschaft bezüglich einer Corona-Prämie für Lokführer, um den heutigen Streik im Personenverkehr abzuwenden. Eine Zahl wurde nicht genannt, weswegen GDL-Chef Claus Weselsky von einem Angebot sprach, das "seinen Namen nicht verdient". Die GDL möchte eine Einmalzahlung von 600 Euro sowie eine Lohnerhöhung um 3,2 Prozent erwirken. Die DB möchte in Anlehnung an Tarifverträge für Flughäfen einen Teil der Lohnerhöhung zu einem späteren Zeitpunkt gewähren. Bei der Laufzeit des Tarifvertrags fordert die GDL 28 Monate, die DB 40 Monate. Streitthema ist ebenfalls die Betriebsrente, wo die DB aus einem gemeinsamen Fonds zur Zusatzrente ausgestiegen ist. *******

Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner waren in den schwersten Krisenmonaten zuverlässig da für alle, die unterwegs sein mussten. Angesichts des unregelmäßigen Schlafrhythmus, den oft kurzfristig umgeplanten Schichten und vielem Unvorhergesehenen, bei dem sie Beschäftigten noch später nach Hause kommen, gebühren ihnen Wertschätzung und angemessene Löhne. Eine Corona-Prämie kann nur der Anfang sein.



* https://www.tagesschau.de/inland/corona-pflege-bonus-101.html
** https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/auszahlung-corona-pflege-bonus-mitteldeutschland-100.html
*** https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/neuer-pflegebonus-geplant-aber-nicht-erwuenscht,SP70MVB
**** https://www.regensburg-digital.de/corona-pflegebonus-politische-versprechen-sind-nicht-entscheidend/09062021/
***** https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2020-11/supermaerkte-angestellte-lohn-praemien-einzelhandel-corona-krise/seite-2
****** https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/wir-brauchen-einen-lohngipfel/





25.07.2021
Weitsicht in Würzburg
Kommentar: Zusätzlicher Freiraum für die Jugend
In aufgewühlten Zeiten ist jeder Funke der Versöhnung eine kleine Sensation. In Würzburg zeigt sich, dass Empathie, Prävention und Dialog mehr Früchte tragen als die Endlos-Spirale an immer schärferen Einschränkungen.

Mit 23 zu 21 Stimmen beschloss der Stadtrat am 20.05.2021, das seit 2010 bestehende Alkoholverbot am Westufer des Mains auszusetzen. Der Antrag stammte von Linke, SPD und Grüne. Um die Ecke gedacht, dient er dem Schutz von Leben und Gesundheit. Wenn Orte der Begegnung rar werden, sind die wenigen Plätze überfüllt. Je mehr Picknick-Wiesen – und in Würzburg gehört das Glas Wein selbstverständlich dazu – desto besser lassen sich Abstände einhalten.


Die Brechstange wirkt kurzfristig,
Weitsicht und Empathie sind nachhaltig


Erst vor kurzem sprach Jugendforscher Simon Schnetzer im Interview mit tagesschau.de über die prekäre Situation junger Menschen. Über Monate hinweg schrumpften sämtliche Räume zum Arbeiten, Kaffeetrinken oder Flirten zusammen. Die Grünanlagen verkörpern den letzten Hort für ihr menschliches Grundbedürfnis, andere zu treffen. An die Erwachsenen appelliert Schnetzer: "Man sollte selbst überlegen, was man gemacht hätte, wenn man mit 16 oder 18 Jahren für mehr als ein Jahr eingeschränkt worden wäre." Die meisten wären wohl auf die Barrikaden gegangen, schätzt der studierte Volkswirt aus dem Allgäu.

Dass junge Menschen meinen, sie sind der Politik egal, zeigte bereits im März eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Schnetzer ist sicher: Durch mangelndes Zuhören ist viel Vertrauen verspielt worden. "Jugendliche haben sich jetzt mehr als eineinhalb Jahre zusammengerissen, waren solidarisch, aber keiner hat einmal gefragt, was man denn für sie tun könnte." Der Jugendforscher mahnt: "Wenn der Politik nichts anderes einfällt, als diesen nach Freiheit lechzenden jungen Menschen den letzten Rückzugsraum in den Parks zu verbieten, dann knallt es irgendwann".


"Anstatt mit jungen Menschen zu sprechen, schickt
die Politik die Polizei in die Parks"


Jugendforscher Simon Schnetzer im Interview mit tagesschau.de am 13.07.2021


Dass Schnetzers Warnung ernst genommen werden soll, zeigen die Ereignisse des ersten Aprils in Brüssel. Bei Ausschreitungen in einem Park wurden mehr als zwei Dutzend Polizisten und Jugendliche zum Teil schwer verletzt. Auch deutsche Städte beklagen immer wieder Zusammenstöße – zum Beispiel Berlin, Hamburg, Karlsruhe und München.
Zurück nach Würzburg: Freiheit bedeutet selbstredend auch Verantwortung. Anfang Juni häuften sich Müllansammlungen und nächtliche Ruhestörungen. Die Stadt erwog abermals ein nächtliches Alkoholverbot für Teile des Mainufers. Jugendverbände reagierten mit Kritik, über die u.a. das Online-Portal "Würzburg Erleben" berichtete. "Ein Alkoholverbot an einigen Stellen verschiebt dieses Problem nur an andere Orte und sorgt schlimmstenfalls dafür, dass in Innenräumen gefeiert wird", mahnte Hannah Oschmann, Sprecherin der Grünen Jugend Würzburg. Deutliche Worte fand auch Michael Reitmair, Vorsitzender des Jusos Würzburg: "Ein Alkoholverbot kriminalisiert junge Menschen, stellt sie unter Generalverdacht und dient lediglich zur Befriedigung eines subjektiven Sicherheitsgefühls." Zugleich appellierten Jugendorganisationen an alle, ihren Müll mitzunehmen und Ruhezeiten einzuhalten.


"Es darf nicht sein, dass für das Fehlverhalten
einiger weniger alle bestraft werden"


Michael Reitmair, Vorsitzender der Jusos Würzburg


Der Stadtrat entschied sich gegen das Alkoholverbot. Stattdessen wurde der Kranenkai am östlichen Mainufer an zwei Juniwochenenden zwischen 22 und 6 Uhr gesperrt. In der Sanderau weckte das Gartenamt mit einer "Wir haben dieses Wochenende frei"-Aktion das Bewusstsein der Menschen für die Müllberge. Seit Ende Juni sind auch diese Einschränkungen zurückgenommen. Dass Nachtschwärmer wieder eine Chance erhalten, zeugt von politischem Fingerspitzengefühl. Eine Universitätsstadt lebt davon, dass sich junge Menschen hier wohl fühlen, ihre Freunde im Freien treffen und auf verantwortungsvolle Art und Weise fröhlich sein dürfen.


Freundliches Ansprechen statt Zeigefinger und Bußgeld:
eine einfache aber geniale Idee!


Die Situation ist im Juli stabil, größere Vorkommnisse sind ausgeblieben. Die Umsetzung so mancher Vorschläge der Jugendverbände trägt Früchte. Kommunikation und Prävention sind einfache aber magische Mittel. Hinweisschilder und direkte Ansprache runden das Konzept ab. So genannte "AHA-Teams" des Stadtmarketings sprechen Jugendliche freundlich an und verteilen Flyer, ohne gleich Bußgelder zu verhängen. Sowohl die Politik als auch die Bürgerinnen und Bürger erleben, dass ein wohlwollendes Miteinander für beide Seiten – ja, für die gesamte Gesellschaft – ein außerordentlicher Gewinn ist.





11.07.2021
Österreich: Mehr Eigenverantwortung, weniger Restriktionen
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht die Pandemie an einem entscheidenden Wendepunkt. Die Krise wandele sich "von einer akuten gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zu einem individuellen medizinischen Problem." Der Impffortschritt mache den Unterschied zum vergangenen Sommer. Man müsse den nicht geimpften Menschen klar machen, dass sie früher oder später sehr wahrscheinlich erkranken werden. Dennoch gäbe es in einer liberalen Demokratie das Recht, unvernünftig zu handeln. "Man kann am Tag zehn Schnitzel essen oder mit 140 Kilo die Felswand hinaufklettern, ohne dass der Staat unten steht und das Seil sichert," sagte der Kanzler.


"In einer liberalen Demokratie besteht das Recht, unvernünftig zu handeln"

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Interview mit mehreren Regionalzeitungen


Bereits seit Anfang des Monats ist die Maskenpflicht an allen Orten entfallen, an denen die 3G-Regel gilt. Die FFP2-Pflicht beschränkt sich nur noch auf Krankenhäuser und Pflegeheime. Weitere Erleichterungen hat die Regierungskoalition für den 22. Juli angekündigt. Dann soll nur noch im ÖPNV, im Lebensmittelhandel, in Apotheken, Banken und ähnlichen Einrichtungen ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Im Interview mit der Sonntagsausgabe der Tageszeitung Österreich betonte Kurz, dass die Maske kein Dauerzustand werden soll. Anders als in Asien gehöre sie in europäischen Ländern nicht zur Kultur dazu.


"Anders als in Asien ist die Maske in europäischen
Ländern kein Teil der Kultur"


Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Interview mit der Tageszeitung Österreich


Ähnlich wie in Deutschland ist die 7-Tage-Inzidenz in Österreich zuletzt leicht gestiegen und beträgt 11. Die ansteckende Delta-Variante breitet auch in der Alpenrepublik aus. Dennoch werde der Kurs der Eigenverantwortung auch bei einer weiteren Infektionswelle fortgesetzt. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) erwartet einen Anstieg der Zahlen, der allerdings aufgrund des Impffortschritts langsamer wird als im letzten Jahr. Kanzler Kurz betonte indes, dass eine Pandemie unter saisonalen Einflüssen und in Wellen verläuft. Soziale Kontakte im Juli stehen in keinem Zusammenhang mit einem Anstieg der Zahlen im Herbst.


"Steigende Zahlen im Herbst haben nichts mit dem
Sozialverhalten der Menschen im Juli zu tun"


Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einer Pressekonferenz im Juni 2021


Österreich gehört zu den beliebtesten Urlaubsländern der Deutschen. Zugleich ist die Wertschöpfung im Land stark vom Tourismus abhängig. Dieser ist wiederum zu einem erheblichen Teil auf Gäste aus Deutschland angewiesen.





26.06.2021
Söder gegen neuen Lockdown in der vierten Welle
Der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder hat sich gegen eine automatische Schließung von Geschäften und Gastronomie bei erneut ansteigenden Inzidenzen ausgesprochen. "Bei einer denkbaren vierten Welle mit der Delta-Mutation muss es neue Instrumente geben", sagte der CSU-Politiker im Interview mit dem Münchner Merkur. Insbesondere betagte Menschen seien durch den Impffortschritt geschützt, wodurch eine neue Situation entstehe. Schüler und Studenten hingegen bleiben anfällig. Deshalb müsse man Bildungseinrichtungen auf das kommende Schuljahr besser vorbereiten.






13.06.2021
Kommentar: Lebensfreude ist das beste Konjunkturprogramm
Hinter uns liegen "Lockdown light", einsame Weihnachten, einsame Ostern, angezogene Notbremsen und eine halbe Ewigkeit Ausgangssperre. Jetzt ist unsere Zeit. Sie ist reif für die kleinen und großen Freuden – mit gutem Gewissen! Ich verstehe jeden Menschen, der jetzt Freunde trifft. Sehnsucht, Fernweh. Die Berge, das Meer. Das Lieblingsrestaurant. Muss man sich schlecht fühlen dabei? Solange die Vernunft mit im Boot sitzt, eindeutig nein! Nach monatelangen Entbehrungen und Sorgen dürfen wir niemandem böse sein, der durchschnaufen oder lachen möchte. Zumal der Herbst eine Unbekannte bleibt. Also nichts wie raus jetzt!


Die hochverdiente sommerliche Lebensfreude war dringend nötig –
für die Gesunderhaltung aber auch für die Konjunktur


Unter uns sind Menschen in der glücklichen Lage, die auch im Lockdown das volle Gehalt erhielten und kaum etwas ausgaben. Dieses Geld bietet eine großartige Chance für kleine Familienbetriebe, die jetzt über jeden Umsatz dankbar sind. Wer es sich leisten kann, Freunde im Restaurant zu treffen, einen Ausflug zu unternehmen, sollte nicht mehr warten. Die gemeinsame Freude stützt gleichzeitig die Existenz anderer Menschen.


Es ist nicht so, dass man heute einen Knopf drückt und morgen
die Lieferkette und das Personal startbereit sind


Denn der Blick ins Detail zeigt, dass manche Branchen jetzt noch mit den Folgen des Lockdowns kämpfen. Aufgrund zahlreicher Auflagen ist der Umsatz bei Tourismus und Gastronomie nicht mehr das, was er einmal war. Eine intakte Lieferkette braucht Zeit und das Personal ist – wenn überhaupt – nicht auf Knopfdruck startbereit.


Bleiben Freunde-Abende in absehbarer Zeit ein saisonales Vergnügen?


Über den Sommer hinaus sind selbst Experten zurückhaltend mit Prognosen. Die vierte Welle scheint Gewissheit. Spannend bleibt die Frage, ob wie sie ohne Lockdown meistern. Falls wir unter einem schlechten Stern stehen, bleiben größere Freundeabende, Tourismus und Gastronomie in absehbarer Zeit ein reines Sommervergnügen. Jetzt gilt es. Diese Lebensfreude für uns und diese Chance für die Wirtschaft haben wir uns verdient. Wenn nicht jetzt, wann dann?






31.05.2021
Humonrvoller Kommentar: Erzwungen
Manche Bundesländer muss man zu ihrem Glück zwingen. Zur Not auf dem Rechtsweg im Eilverfahren. Ätschi-bätschi, Niedersachsen! Hier kommen die Urlauber. Und es sind nicht nur "Landeskinder". Es lebe die Gleichbehandlung. Sie sind verpflichtet, uns alle willkommen zu heißen!





22.05.2021
Kommentar: Inzidenz-Lotterie
Und nun die Lottozahlen. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz sank heute nach Angaben des Robert-Koch-Instituts auf 66,8 von 67,3 am Vortag. Ein unpassender Vergleich? Fragen und hinterfragen ist jedenfalls legitim. Kann es sein, dass unser ganzes Leben monatelang von den Inzidenzzahlen dominiert wird? Auf dem ersten Blick ist das eine aberwitzige Frage. Wer sich mit der Thematik in die Tiefe beschäftigt, merkt: es ist eine berechtigte Frage, die sehr intelligente Menschen stellen.

Wie viele Freunde darf ich treffen? Brauche ich einen Corona-Test vor dem Einkauf? Und vor dem Kaffeekränzchen? Haben Geschäfte und Restaurants überhaupt geöffnet? Der Blick auf die örtliche 7-Tage-Inzidenz ist inzwischen bedeutsamer als die Wettervorhersage. Sie beeinflusst fast sämtliche Lebensbereiche. Mit Vernunft und Umsicht sind wir bestrebt, die Inzidenz niedrig zu halten. Seit Monaten schon. Doch selbst wenn wir alles richtig machen, kann aus dem Nichts die böse Überraschung auftauchen. Innerhalb weniger Tage infizieren sich etwa 200 Menschen auf einem Spargelhof. Die Inzidenz steigt auf über 100. Notbremse. Alles im Landkreis muss schließen. Dieses Szenario ist nicht erfunden. Das war Diepholz Anfang Mai 2021.


"Wir dürfen die Geduld der Menschen nicht überstrapazieren
und müssen wieder Mut zum Leben haben"


Hubert Aiwanger (Freie Wähler), bayerischer Wirtschaftsminister


Dass allein die Inzidenzzahl über Lockdown oder Lockerungen entscheidet, kritisierte zuletzt Bayerns Wirtschaftsminister und Vorsitzender der Freien Wähler (FW) Hubert Aiwanger. Er bezeichnete die Notbremse als zu starr. Die inzidenzbasierte Öffnung und Schließung werde der Situation vor Ort nicht gerecht. Zudem hätten betroffene Wirtschaftsbetriebe in Landkreisen, wo die Inzidenz um die 100 pendelt, keine Planungssicherheit. Vor Ort können Entscheidungen deutlich kompetenter getroffen werden, so Aiwanger. Das örtliche Gesundheitsamt kann sehr wohl einschätzen, ob ein Corona-Ausbruch nur etwa eine Gemeinschaftsunterkunft betrifft oder ob im gesamten Landkreis ein diffuses Geschehen stattfindet. Mit Blick auf den Sommer forderte der Minister, die Umsicht beizubehalten und dennoch die Geduld der Menschen nicht überzustrapazieren: "Wir müssen wieder Mut zum Leben haben."

Kritik an die Inzidenz als einziges Kriterium über Hop oder Top kommt zudem aus der Wissenschaft. Beispielsweise meldet sich immer wieder der Virologe und Epidemiologe Prof. Klaus Stöhr zu Wort, langjähriger Leiter des globalen Influenza-Programms und Sars-Forschungskoordinator an der WHO. Er bemängelt, dass die Inzidenzwerte von vermehrten Testungen in Mitleidenschaft gezogen werden, zumal viele Tests zur Bekämpfung der Pandemie hilfreich seien. Deswegen sei es kontraproduktiv, dass Kommunen, die viel testen, einen Nachteil haben. Prof. Dr. Peter Kremsner, der das Modellprojekt in Tübingen wissenschaftlich begleitete, schätzt, dass die vielen zusätzlichen Schnelltests die amtliche 7-Tage-Inzidenz um etwa 25 bis 50 Prozent nach oben verzerrten.


"Die vielen Schnelltests verzerren die offiziell angegebene 7-Tage-Inzidenz
für Tübingen um etwa 25 bis 50 Prozent"


Prof. Dr. Peter Kremsner, Infektiologe am Universitätsklinikum Tübingen


Damit das Lagebild besser die Realität abbildet, sollten laut Stöhr die Auslastung des Gesundheitssystems, die Sterberaten und der R-Wert als weitere wichtige Kriterien herangezogen werden. Zudem mehren sich aus Politik und Wissenschaft die Rufe, die steigende Impfrate zu berücksichtigen. Bereits zu Beginn des Jahres merkte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) an, dass "ein Geimpfter niemandem mehr ein Beatmungsgerät wegnimmt."

Zum Ende Juni läuft die Regelung der Bundesnotbremse aus. Die Politik sollte diese Chance tunlichst nutzen. Man könnte sie durch eine differenzierte Regelung ersetzen. Oder man gibt die Kompetenz den lokalen Behörden zurück. Ein "Weiter so" wird der neuen Situation nicht gerecht. Gewiss ist: Hubert Aiwanger wird sich an der Diskussion tatkräftig beteiligen.





21.05.2021
"Sie haben uns gefehlt"
Deutsche Bahn bereitet sich auf den Reisesommer vor
Solche Bilder gehören inzwischen der Vergangenheit an. Das Bordpersonal drückt die Freude des Konzerns wie folgt aus: "Schön, dass Sie an Bord sind, denn Sie haben uns gefehlt!" Bereits in den Wochen zuvor waren die Fahrgastzahlen stetig angestiegen. DB Fernverkehrschef Michael Peterson rechnet damit, dass der Deutschlandurlaub 2021 wieder "hoch im Kurs" stehen wird.

Neben den ganzjährlichen Verbindungen und den bereits aus den letzten Jahren bekannten saisonalen Zügen (etwa in die Alpen, nach Fehmarn, nach Vorpommern, ins Nord- und Ostfriesland) bietet die Deutsche Bahn ab dem 3. Juli zusätzliche Verbindungen an. So kommt man unter anderem umsteigefrei von Frankfurt nach Norddeich, von Berlin an den Bodensee und von München auf Sylt. Eine vergünstigte BahnCard 100 und ein gesondertes Sparpreisangebot soll Menschen im Alter von bis zu 26 Jahren das Verreisen mit der Bahn in den Sommermonaten schmackhaft machen.





18.05.2021
Niedersachsen: "Landeskinderregelung" ist rechtswidrig
Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat das Verbot touristischer Übernachtungen für Menschen aus anderen Bundesländern außer Vollzug gesetzt. Geklagt hatte im Eilverfahren ein Mann aus Nordrhein-Westfalen, der seinen Pfingsturlaub auf Borkum verbringen möchte. Die Richter begründeten das Urteil mit einer Ungleichbehandlung ohne solider Sachgrundlage. Die "Landeskinderregelung" verbiete auswärtigen Gästen aus Regionen mit niedrigen Inzidenzen die Übernachtung während Urlauber aus Hochinzidenzgebieten in Niedersachsen zugelassen sind. Ferner urteilte das Gericht, dass das Verbot nur wenig zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beiträgt und somit keine notwendige Schutzmaßnahme mehr darstellt. Die übrigen Maßnahmen (maximale Auslastung der Unterkünfte von 60 Prozent, Testpflicht bei der Ankunft, eintägige Sperre zwischen zwei Belegungen einer Ferienwohnung etc.) reichen aus, um ein erhöhtes Aufkommen in Beherbergungsbetrieben zu vermeiden. Der Beschluss ist unanfechtbar.






13.05.2021
Einsames Urlaubsparadies
Kommentar: Symbolpolitik im Küstenland?
Sonne, Wolken, 20 Grad. Fast menschenleer sind die kilometerweiten Strände. Mecklenburg-Vorpommern befindet sich noch im harten Lockdown. Das Beherbergungsverbot ist keine Überraschung. Deutschlandweit einzigartig ist hingegen das so genannte Einreiseverbot. Im Klartext: Menschen aus anderen Bundesländern dürfen seit Monaten nur in Ausnahmefällen die Landstriche zwischen Schwerin, Uckermark und Rügen betreten. Eine notwendige Maßnahme zur Eindämmung des Virus? Oder doch mehr Schein als Wirkung?

Erst nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom 30.04.2021 erlaubte Mecklenburg-Vorpommern zumindest vollständig geimpften und genesenen Zweitwohnungsbesitzern und Tagestouristen die Einreise. Neuerdings dürfen auch ihre Kinder mit. Etwa 90 Prozent der Deutschen profitieren von diesen Lockerungen noch nicht.


Ob man am Wochenende 100 oder 500 Ausflügler zur Rückkehr zwingt,
dürfte für das Infektionsgeschehen wenig relevant sein


Auf die Frage, welchen konkreten Beitrag zur Eindämmung des Virus die Einreiseverbote geleistet haben und warum sie aus Sicht der Staatsregierung unverzichtbar sind, antwortete ein Regierungssprecher indirekt. Er gab zu bedenken: Mobilität und Menschenansammlungen spielen bei der Verbreitung des Virus mit eine Rolle. Aus diesem Grund könne die Öffnung des Tourismus nur schrittweise erfolgen. Ab dem 7. Juni dürfen auch ungeimpfte Zweitwohnungsbesitzer aus ganz Deutschland ihr hiesiges Grundstück anfahren. Gleichzeitig öffnen Ferienwohnungen und Hotels für Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns. In einem nächsten Schritt erhalten ab dem 14. Juni Übernachtungsgäste aus ganz Deutschland grünes Licht. Dies gelte selbstverständlich für alle Bürgerinnen und Bürger – d.h. auch für Ungeimpfte. Die Wiederzulassung von Tagestouristen würde allerdings "vermutlich noch etwas dauern". Somit wäre die Rechtslage im Sommer 2021 vergleichbar mit der im Vorjahr. Die Einreise von Tagestouristen wurde erst nach Ende der Sommersaison 2020 erlaubt.

Die dritte Welle traf Mecklenburg-Vorpommern ab Februar 2021 deutlich schwerer als etwa Schleswig-Holstein – ein Land, das den ganzen Winter für Tagesausflügler geöffnet war. Die Touristen können das Infektionsgeschehen nicht verschuldet haben – der Fremdenverkehr ruhte bereits seit Monaten. Die Ursache etwa für die hohen Zahlen im Kreis Vorpommern-Greifswald sieht Prof. Dr. Emil Reisinger, Infektiologe an der Universität Rostock, vielmehr in vermehrten Kontakten im Familien- und Freundeskreis. Die Menschen hätten die Ansteckungsgefahr im privaten Umfeld unterschätzt, sagte er dem Nordkurier im Februar 2021. Berufspendler etwa aus dem damaligen Hochinzidenzgebiet Polen haben sicherlich einen Teil beigetragen – allerdings fehlen hierzu belastbare Zahlen. Alleinverantwortlich waren sie keinesfalls. Staatssekretär Patrick Dahlemann (SPD) unterstrich, dass es mehrere Ausbrüche in Pflegeheimen gäbe, die mit Berufspendlern nichts zu tun hätten.


Zum Teil brachten die Pendler das Virus – und konnten nichts dafür.
Hinzu kamen etwa Familienessen und Ausbrüche in Pflegeheimen.
Aber nicht der Tourismus – er fand ja nicht statt!


Angesichts dieser Mischung bleibt es fraglich, ob es entscheidend ist, am Wochenende ein paar Hundert Ausflügler zur Rückkehr zu zwingen. Zumal sich Menschen unter anderem auf der Arbeit oder bei Familienessen anstecken. Warum bleibt Mecklenburg-Vorpommern bei den Einreiseverboten? Bei öffentlichen Auftritten betonte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), dass das Land bis jetzt gut gefahren sei damit. Das mag sein. Trotzdem besteht die Verpflichtung, Maßnahmen an neue Erkenntnisse anzupassen. Eine davon liefert das Nachbarland Schleswig-Holstein. Das Modellprojekt um Eckernförde herum bestätigte eindrucksvoll die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, das von Beherbergungsbetrieben ein sehr niedriges Ansteckungsrisiko ausgeht. Im Lauf des Projekts sanken die Infektionszahlen in der Region immer weiter. Nach zwei Wochen zählte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) lediglich "zwei Hand voll" positive Tests. Die meisten davon gingen wohlgemerkt auf Einheimische zurück, nicht auf Urlauber!


Es bleibt der bittere Beigeschmack, dass der einsame Spaziergänger
oder der Ferienhausbesitzer von den Verboten mit erfasst wird


Selbstverständlich ist es angebracht, Mobilität zu reduzieren und Menschenansammlungen zu vermeiden. Selbstverständlich wirken Maßnahmen nur als Gesamtpaket. Einreiseverbote haben allerdings den bitteren Beigeschmack, dass sie den einsamen Küstenspaziergänger exakt so behandeln wie jemanden, der von Treffen zu Treffen zieht. Ganz zu schweigen von den meist friedfertigen Besitzern von Ferienhäusern, die nicht für eine große Teilhabe am örtlichen sozialen Leben bekannt sind.

Es ist eine politische Gratwanderung. Viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern leben vom Tourismus während andere in Sorge sind, Urlauber würden nicht nur den Verkehr belasten, sondern auch das Virus einschleppen. Die Staatsregierung versucht einen eleganten Zwischenweg. Das Ergebnis wird auch diesen Sommer lauten: Übernachtungsgäste ja, Tagesausflügler nein.


"Wir freuen uns, wenn Gäste zu uns kommen. Deshalb ist selbstverständlich unser Ziel, das Land möglichst schnell wieder für Touristen zu öffnen"

Ein Regierungssprecher des Landes Mecklenburg-Vorpommern


In Schwerin weiß man zu gut, was der Tourismus für die Wertschöpfung, die Existenzen und Arbeitsplätze im Land bedeutet. Der politische Wille, die Hauptsaison zu sichern, ist unverkennbar. Vom verzögerten Start ab dem 14. Juni erhofft man sich wohl zusätzliche Sicherheit. Für Politik, Betriebe und Gäste wäre es ein Super-GAU, die Saison vorzeitig abbrechen zu müssen. Doch es wirkt wie Symbolpolitik. Als ob eine etwaige Viruswelle im Spätsommer darauf Rücksicht nimmt, dass man im Frühsommer ganz behutsam geöffnet hat…


Ein Küsten- und Seenland, das sich monatelang von Touristen
abschottet, sägt am eigenen Ast


Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA begrüßte die Öffnungsschritte – auch wenn sie später kommen als gefordert. Zuvor hatte DEHOGA MV-Präsident Lars Schwarz bemängelt, dass vermehrt Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns nach Schleswig-Holstein ins Restaurant fahren während 30 Prozent von den hiesigen Betrieben kurz vor der Pleite stünden und weitere 30 Prozent zumindest ernsthafte Existenzängste beklagen.

Ein Küsten- und Seenland ohne Tourismus ist ein kaum vorstellbarer Schatten seiner eigentlichen Selbst. Der Hoffnungsschimmer am Horizont kommt für Betriebe und Reiselustige gerade noch rechtzeitig, um große Teile der Saison zu retten. Mindestens ein Wermutstropfen bleibt auf absehbare Zeit bestehen: Das Einreiseverbot für Tagesausflügler etwa aus Berlin oder Brandenburg.





8.05.2021
Kommentar: Die Jugend braucht Empathie und Perspektive
"365 Nächte geschlossen. Kein Tanz, keine Freunde, keine Jobs. Und der Zähler läuft weiter…" Die Werbeaktion eines Münchner Clubs bringt die trostlose Situation junger Menschen auf den Punkt.

Beim Kindeswohl ist die Entwicklung sehr erfreulich. Die Sperrung von Spielplätzen ist – anders als letztes Jahr – kein Thema mehr. Mittlerweile werden Kinder unter 14 Jahren bei den Kontaktbeschränkungen nicht mitgezählt und genießen erweiterte Sportmöglichkeiten. Die Erwachsenen sind mal froh, mal traurig und mal genervt. Doch dank ausgeprägter Vernunft meistern sie die monatelange Ausnahmesituation recht gelassen. Übrig bleibt eine Bevölkerungsgruppe, deren Geduld womöglich bald am Ende ist – die Jugend.


"Jugendliche verpassen gerade die beste Zeit ihres Lebens.
Die Pandemie schirmt sie von lebensbestimmenden Erfahrungen ab"


Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung, 4.03.2021


Eine am 23.03.2021 veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Etwa zwei von drei Jugendliche beklagen, ihre Sorgen in der Pandemie werden nicht gehört. Wie kam es dazu?

Die Lebensrealität von Jung und Alt ist nicht dieselbe. Bereits wenige Kleinigkeiten offenbaren das. Treffen mit maximal fünf Personen aus zwei Haushalten sind für Erwachsene ausreichend, um einen schönen Sonntag zu erleben. Dieselbe Regel bedeutet für einen jungen Mann, der gerade 18 wird, dass die zwei besten Kumpels nicht kommen dürfen. Es wäre ein Hausstand zu viel. In diesem Alter findet der lebenswichtige Austausch mit der Peer-Group eben außerhalb des eigenen Haushalts statt.


Warum dürfen zwei junge Mädels abends nicht auf derselben Parkbank
sitzen, wo am Tag zwei ältere Damen sitzen dürfen?


Gleichzeitig mussten sich junge Menschen mit wiederholten verbalen Angriffen abfinden. Vor allem im Frühjahr und Sommer 2020 hagelte es pauschale Schuldzuweisungen aus Politik und Wissenschaft, dass genau sie die Treiber der Pandemie seien. Und genau sie die Unvernünftigen seien, die immer noch abends im Park Freunde treffen. Ein Jahr später hat sich die Sprache in der öffentlichen Diskussion gemäßigt und relativiert. Doch die Wunden sind noch nicht geheilt.


Die pauschalen Schuldzuweisungen sind inzwischen ein Jahr her.
Doch die Wunden sind noch nicht geheilt


Dann kam die abendliche Ausgangssperre hinzu. Für Erwachsene kostet es nur eine Umgewöhnung, die wenigen Kontakte auf den Nachmittag vorzuverlegen. Jugendliche sind oft Nachteulen, sie lieben die Magie des späten Abends. Warum dürfen zwei junge Mädels abends nicht auf derselben Parkbank sitzen, wo tagsüber zwei ältere Damen sitzen dürfen? Kaffeekränzchen am Tag erlaubt, Chillen am Abend verboten – so entsteht bei jungen Menschen Politikverdrossenheit. Selbstverständlich ist es wichtig, dass sich keine Gruppen bilden. Diese Regel gilt am Tag und in der Nacht. Wenn die Kontaktbeschränkungen konsequent durchgesetzt werden, sind Ausgangsbeschränkungen obsolet.

Der Vizevorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, kritisierte Hamburgs Ausgangsbeschränkung als lebensfremd: "Ich möchte mal sehen, was da bei schönem Wetter passiert." Wenn abends Tausende am Elbstrand sitzen, stünden Behörden vor einer schwierigen Aufgabe. Ebenfalls zweifelte er die Wirksamkeit an, wenn beispielsweise in einem Hochhaus "der 12. Stock den 3. Stock besucht, um gemeinsam Love Island zu schauen".


"Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen sind lebensfremd"

Wolfgang Kubicki, Vizevorsitzender der Freien Demokratischen Partei (FDP)


Bereits im vergangenen Winter gab es unter anderem in Bayern und Baden-Württemberg nächtliche Ausgangssperren. Der Unterschied: Bei Minusgraden und frühem Einbruch der Dunkelheit fällt es Jung und Alt gleichermaßen leicht, drinnen zu bleiben. Sollten die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in den Sommer hinein verlängert werden, sind Zusammenstöße mit Ordnungskräften vorprogrammiert.

Dass es bis jetzt so weit nicht kam, liegt an der Vernunft und Gelassenheit, die bei den allermeisten Jugendlichen ausgeprägt sind. Und auch an manch einer Eigenart. Wenn die "Osterruhe" nicht zu Ende gedacht wird, melden sich am nächsten Tag Vertreter aus Handel und Kirche zu Wort. Die Jugend schweigt zunächst. Dann macht sie aus Trotz ihr eigenes Ding. Zweifelsohne ist es rücksichtslos, mitten in der dritten Welle zu zehnt mit Bier- oder Weinflaschen abends durch die Stadt zu ziehen. Für die Politik sollte das dennoch eine Warnung sein. Wer Akzeptanz will, muss den Dialog mit den Menschen suchen, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und sie am Entscheidungsprozess beteiligen.


Die bisherige Corona-Politik ist eine Politik
von Erwachsenen für Erwachsene


Die monatelangen Einschränkungen haben bei manchen Jugendlichen Resignation und Trauer hervorgerufen, bei anderen eine zunehmende Aggressivität. Am ersten April wurden in der belgischen Hauptstadt Brüssel bei Ausschreitungen mehr als zwei Dutzend Polizisten zum Teil schwer verletzt. Ein ähnlicher Vorfall kleineren Ausmaßes ereignete sich am gleichen Tag im Park am Gleisdreieck in Berlin. Am ersten Mai gab es in Brüssel erneut Spannungen in demselben Park.

Vergessen wir nicht, dass es die Jugend von heute ist, welche die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie eines Tages auffangen muss. Und der Klimawandel wird dieser Generation auch einiges abverlangen.

Zu Beginn des Sommersemesters am 12.04.2021 sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Studentinnen und Studenten Mut zu: "Sie sind nicht vergessen! Sie werden gebraucht, gerade in einer Zeit, in der wichtige Transformationen vor uns stehen!" Diesen wunderschönen Worten der Empathie müssen Taten folgen.


Pacha Munich via Instagram





30.04.2021
Kommentar: Der Baselblick und die Wehmut
Der Baselblick schmückt den Rand des Südschwarzwalds. Hier können wir Deutsche mit dem Fernglas bewundern, wie in der Schweiz das öffentliche Leben Fahrt aufnimmt. Anerkennung erfüllt den Blick. Sie ist – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – gepaart von einer Prise Wehmut. Drüben hatten und haben die Menschen zu fast jeder Zeit der Pandemie mehr Freiheiten als hierzulande. Zur schwersten Phase im November und Dezember 2020 konnte der Zusammenbruch des Gesundheitswesens abgewendet werden. Danach gelang es den Eidgenossen, die Pandemie ähnlich erfolgreich einzudämmen wie die Nachbarländer – allerdings mit deutlich milderen Mitteln.


Gesundheitsschutz und Freiheit sind vereinbar – das lehrt uns die Schweiz


Hier, an der Südwestspitze Deutschlands, gilt die Notbremse. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erwog diese Woche gar eine zusätzliche Verschärfung der Ausgangssperre. Im letzten Moment verzichtete er darauf angesichts abflauender Infektionsdynamik. Drüben finden Biergarten, Vereinssport, Fitness, Kino und Theater wieder statt. Treffen mit bis zu zehn Personen sind erlaubt.


In Bulgarien darf man nachts im Club ohne Maske tanzen. In Deutschland teils nicht einmal spazieren gehen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen


Ende April 2021 bilden Deutschland, Österreich und die Schweiz eine bemerkenswerte Momentaufnahme. Alle drei Länder haben 7-Tage-Inzidenzen um die 160 und einen vergleichbaren Impffortschritt. In der Schweiz begründete Gesundheitsminister Alain Berset die Öffnungen damit, dass die Zahlen "zwar steigen, aber nicht sehr stark". Dass mit Lockerungen immer ein gewisses Risiko einhergeht, ist den Entscheidungsträgern bewusst. In Österreich sollen am 19. Mai praktisch alle Wirtschaftsbereiche geöffnet werden – auch in der stark von der dritten Welle betroffenen Hauptstadt Wien. Die Niederlande beschloss bei einer Inzidenz jenseits von 300 weitreichende Öffnungen und ein Ende der Ausgangssperre. Das sonst so restriktive Frankreich will im Mai große Schritte gehen. In der Slowakei, in Dänemark, in Finnland, in Spanien und in Italien erlebt die Außengastronomie ein Comeback. In Bulgarien darf man nachts ohne Maske im Club tanzen. In Deutschland teils nicht einmal spazieren gehen.


Aktivitäten im Freien sind laut Aerosolforscher zumeist vertretbar.
Wenn nicht im Sommer, wann denn dann?


Zu Beginn eines harten Corona-Winters ist ein wissenschaftlicher und politischer Schwerpunkt auf Vorsicht sehr verständlich. Doch mit nahendem saisonalem Effekt im Sommer und steigender Impfquote ist ein harter Lockdown nicht mehr zeitgemäß. Die Strategie braucht eine wohlüberlegte Weiterentwicklung. Öffnungsschritte, die mit dem Gesundheitsschutz vereinbar sind, müssen wir gehen. Seit dem deutlichen Statement einiger Aerosolforscher wissen wir, dass das vor allem Aktivitäten im Freien betrifft. Wenn nicht im Sommer, wann denn dann? Europa nutzt die Gunst der Stunde – Deutschland sollte bald nachziehen. Die Schweiz zeigt eindrucksvoll: Gesundheitsschutz und Freiheit müssen sich nicht ausschließen.





20.04.2021
Kommentar: Eine Chance für den Tourismus:
Ein Muss für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Es geht nicht um ein paar Strandkörbe, Tequila Sunrise und Dolce Vita. Vielmehr steht auf dem Spiel, ob ein Wirtschaftssektor mit mehr als zwei Millionen Beschäftigten * in diesem Jahr doch noch eine Chance bekommt. Auf ewig wird unsere Gesellschaft dieses Ungleichgewicht nicht aushalten. Die Chefs von Amazon, Lieferando und Facebook machen in der schwersten Krise der Nachkriegsgeschichte das Geschäft Ihres Lebens. Der Automobilbau schreibt schwarze Zahlen als wäre nichts gewesen. Zeitgleich befinden sich Hotels und Restaurants seit fast einem halben Jahr im staatlich angeordneten Dornröschenschlaf.


Das Ungleichgewicht der Wirtschaftssektoren
gefährdet den sozialen Zusammenhalt


Je länger der Zustand anhält, desto unausweichlicher werden gesellschaftliche Spannungen. Menschen, deren lebenslang aufgebaute Existenz vor ihren eigenen Augen zusammenfällt, verlieren das Vertrauen in den Staat. Die Ideologie der Querdenker ist ihnen fremd; vielmehr fordern sie verantwortungsvolle Öffnungen und intelligente, zielgerichtete Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Diese Menschen erzählen ihre Geschichten weiter – an Kunden, Verwandte, Bekannte. Die bayerische Initiative "Lasst UNS öffnen" ** ist ein erstes Signal, dass die Gastronomen nicht mehr im Stillen leiden und auf bessere Zeiten warten möchten. Ihre Stimmen werden nicht verstummen. Die Debatte, die sie früher oder später auslösen, wird für Politik und Wissenschaft keine angenehme. Eine Nation ohne Zusammenhalt zerfällt zu einem Scherbenhaufen. Dies ist nur eine Frage der Zeit.


Auf den Campari Orange am Strand kann man verzichten.
Auf gesellschaftliche Solidarität nicht


Dass die Öffnung des Tourismus 2021 kein Selbstläufer ist, hat Stefan Borgmann, Touristik-Chef der Eckernförder Bucht, erkannt. Die schleswig-holsteinischen Modellprojekte können "auch total in die Hose gehen", sagte er dem NDR. Dann hieße es: "Tut mir leid, Leute, Ihr habt die Chance nicht genutzt, Tourismus findet 2021 gar nicht statt."

Somit dürfte jeder von uns die Daumen drücken, dass die Tourismus-Modellregionen im hohen Norden Erfolge feiern. Auf den Aperol Spritz am Strand kann man verzichten. Auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht.


* https://www.dehoga-bundesverband.de/zahlen-fakten/
** https://lasstunsoeffnen.de/





19.04.2021
Unterschiedlicher Start der Tourismus-Modellregionen
Vor zehn Tagen gab der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Dr. Bernd Buchholz (FDP) bekannt, welche vier Tourismus-Modellregionen die Task-Force aus den zwölf Bewerbungen ausgewählt hatte. Das Projekt soll Erkenntnisse liefern, wie sicherer Tourismus unter Corona-Bedingungen möglich ist. Kernstück sind vielerorts verpflichtende Tests – sowohl bei der Anreise als auch alle 48 Stunden während des Aufenthalts. Die örtliche Bevölkerung darf die Angebote ebenfalls nutzen. Alle Modellregionen handeln im Einvernehmen mit dem örtlichen Gesundheitsamt, das zu jeder Zeit ein Veto-Recht hat. Bei Abbruch des Projekts werden die Gäste aufgefordert, die Heimreise anzutreten.

Pünktlich startete heute die Region Schlei mit der Stadt Eckernförde. Die dünn besiedelte Gegend an der Schleimündung bietet insbesondere dezentrale Ferienwohnungen. Hier soll laut Buchholz die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts belegt werden, wonach von Beherbergungsbetrieben nur ein sehr niedriges Risiko ausgeht. Der Leiter des örtlichen Gesundheitsamtes, Prof. Dr. Stephan Ott, ist diesbezüglich zuversichtlich. Spannend wird laut Ott eher, wie sich die Zahlen in der Stadt Eckernförde entwickeln, wo vermehrt Tagestourismus stattfindet. Die wissenschaftliche Begleitung sieht unter anderem vor, Infektionszahlen von Touristen und Einheimischen getrennt auszuwerten.


"Ferienwohnungen in der Fläche führen nicht zu kritischen Inzidenzen.
Eckernförde mit dem Tagestourismus wird spannend"


Prof. Dr. Stephan Ott, Leiter des Gesundheitsamtes Rendsburg-Eckernförde, im NDR


Die innere Lübecker Bucht zwischen Timmendorfer Strand und Rettin machte bereits 2020 positive Schlagzeilen mit der Besucherlenkung hin zu weniger vollen Strandabschnitten. Hier verzögert sich der Start aufgrund Klärung organisatorischer Fragen zunächst auf den 26. April. Manche Beherbergungsbetriebe nehmen Medienberichten zufolge nicht teil, weil sie die regelmäßigen anlasslosen Tests für überzogen halten. Zudem wird befürchtet, durch die Steigerung der Testkapazitäten könne die 7-Tage-Inzidenz von 100 bald erreicht werden. Andere Betriebsinhaber empfinden die Terminverschiebung als frustrierend.

Aufgrund steigender Neuansteckungen im Kreis Dithmarschen startet Büsum frühestens am 10. Mai. Die Verantwortlichen sind zuversichtlich, dass bis dahin die wärmeren Temperaturen die Infektionsdynamik drücken.


Zuständigkeit unklar: Anreisekontrollen auf Sylt
können nicht ohne weiteres eingeführt werden


Mit Spannung wird für diese Woche die Entscheidung der Insel Sylt erwartet, ob sie Teil der Modellregion Nordfriesland wird. Sylt hatte ein gesondertes Konzept vorgelegt, das Anreisekontrollen am Bahnhof und beim SyltShuttle vorsah. Allerdings fehlen die rechtlichen Voraussetzungen, damit die Kontrollen von der Polizei oder von der Deutsche Bahn durchgeführt werden. Nun muss sich Sylt entweder dem Konzept des Kreises Nordfriesland anschließen oder aus der Modellregion aussteigen.

Touristen wie Einheimischen wird empfohlen, sich auf der Internetseite der jeweiligen Region zu informieren. Während in Nordfriesland sowohl für Innen- als auch für Außenbereiche der Gastronomie Tests verpflichtend sind, darf man in der Schlei-Region zumindest die Außengastronomie ohne Test nutzen. Im Übrigen Schleswig-Holstein sind bei Inzidenz unter 100 lediglich Außenbereiche geöffnet. Tests werden empfohlen, aber nicht vorgeschrieben.

Die Modellprojekte sind zunächst auf vier bis sechs Wochen befristet. Eine Fortdauer in den Juni hinein ist möglich. Wann die Projekte in flächendeckende Öffnungen übergehen, ist unklar. Auf Anfrage teilte ein Regierungssprecher mit, dass das vom weiteren Infektionsgeschehen abhängt.





14.04.2021
Große Freude und ein paar kritische Worte:
Kommentar zur Außengastronomie in Schleswig-Holstein
Die Freude überwiegt eindeutig: Seit Montag darf in weiten Teilen Schleswig-Holsteins die Außengastronomie öffnen. In Michaela Klippels Restaurant an der Promenade in Laboe ist das Leben zurückgekehrt. Am heutigen Mittwochabend sind auf der Terrasse fast alle Tische besetzt.

Auf diesen Moment haben sie fünfeinhalb Monate gewartet. Klippel betont, dass die Gastronomen mit die ersten sind, die schließen, und mit die letzten, die öffnen. Für das Krisenmanagement der Politik findet sie deutliche Worte. Die Schulen zu öffnen bevor man Testungen sicherstellt empfindet sie als verantwortungslos. "Meine Tochter kommt in der Schule täglich mit etwa 20 anderen Menschen zusammen, ungetestet, und nachmittags ist sie hier im Lokal aushelfen."


"Damit die Politiker nachempfinden, wie es uns geht, sollten sie
ein paar Monate lang auf ihre Einkünfte verzichten"


Michaela Klippel, Besitzerin eines Restaurants in Laboe


Testbeschaffung laufen hierzulande schleppend während in der Dominikanischen Republik mithilfe von Tests für Beschäftigte und Urlauber der Tourismus ermöglicht wurde. "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben", appelliert Klippel. Ihren Beitrag hierzu leistet sie allemal: Das Personal wird wöchentlich getestet, die Kontaktdaten der Gäste werden mit der Luca-App erfasst. Hinzu kommt die konsequente Umsetzung eines ausgeklügelten Hygienekonzepts.


"Wer sich zum Kaffee in der Fußgängerzone trifft,
muss niemanden in sein Wohnzimmer einladen"


aus dem offenen Brief von fünf Aerosolforschern an die Bundeskanzlerin vom 11.04.2021


Auf der Terrasse begegnen sich die Menschen kontrolliert und an der frischen Luft: ein deutlicher epidemiologischer Gewinn im Vergleich zu den Treffen in privaten Wohnungen. Erst vor wenigen Tagen betonten Aerosolforscher in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, dass es ausdrücklich wünschenswert wäre, Begegnungen und Aktivitäten nach draußen zu verlagern.

An diesem magischen Frühlingsabend an der Ostsee sehe ich das, was ich ganz Deutschland vom Herzen wünsche. Ein Mehr an verantwortungsvolle Freiheit ist gleichzeitig ein Mehr an Gesundheit. Die Öffnung der Außengastronomie ist gelebter Infektionsschutz.





13.04.2021
Aerosolforscher: Die Gefahr ist drinnen, nicht draußen
Mit einem offenen Brief wandten sich am vergangenen Sonntag fünf führende Aerosolforscher an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Sie forderten ein Umdenken bei der Pandemiebekämpfung. Durch die verordneten Maßnahmen und die Berichterstattung in den Medien sei bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstanden, dass es draußen gefährlich ist. In Wirklichkeit übertrage sich das neuartige Coronavirus fast ausschließlich in geschlossenen Räumen. Dr. Gerhard Scheuch, ehemaliger Präsident der International Society for Aerosols in Medicine, verweist auf eine Studie aus Irland, wonach lediglich 0,1 Prozent der Ansteckungen an der frischen Luft passieren. In diesen seltenen Fällen infizieren sich zudem nur vereinzelte Personen während in geschlossenen Räumen, etwa bei Chorproben, mitunter große Cluster entstehen. In einem schlecht gelüfteten Raum ist die Ansteckung selbst dann möglich, wenn der Infizierte den Raum bereits verlassen hat.


"Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir
die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert"


aus dem offenen Brief von fünf Aerosolforschern an die Bundeskanzlerin, 11.04.2021


Die Wissenschaftler warnen vor symbolischen Maßnahmen wie etwa das Maskentragen beim Joggen. Sie mahnen an, die Ressourcen der Pandemiebekämpfung auf die geschlossenen Räume zu konzentrieren. Wirksam sind aus ihrer Sicht etwa Luftfilter und häufiges Stoß- und Querlüften. Überhaupt solle man die Zeit der Treffen und die Aufenthaltsdauer in Innenräumen auf ein notwendiges Minimum reduzieren.

Ausgangssperren erachten die Aerosolforscher für kontraproduktiv. Sie verhindern heimliche Treffen in Innenräumen nicht. Stattdessen erhöhen sie die Motivation, sich den staatlichen Anordnungen zu entziehen. Für eine erfolgreiche Eindämmung der Pandemie brauche es vielmehr überzeugende Argumente, um die problematischen Kontakte in Innenräumen zu reduzieren.






10.04.2021
Kommentar: Der taube Frosch aus dem Saarland
Eines Tages sollte im Reich der Frösche ein Wettlauf stattfinden. Um des Spektakels Willen wählten sie ein schier unerreichbares Ziel: die Spitze der steilsten Berghalde im ganzen Land. Die wissenschaftlich versierten Frösche hatten mithilfe von Rechenmodellen nachgewiesen, dass kein Frosch dieses Ziel je erreichen kann. Sie waren verwundert, dass der Wettlauf überhaupt stattfinden soll.

Aus dem ganzen Reich versammelten sich die Frösche zu einem Millionenpublikum. Anstatt die Läufer anzufeuern, riefen sie skeptisch: "Oje, es ist unmöglich! Die Armen! Ihr werdet es nie schaffen!"

Tatsächlich sah es danach aus. Ein Läufer nach dem anderen gab auf und kein Frosch erreichte das Ziel. Doch ein einziger, der Frosch aus dem Saarland, schien wenig beeindruckt und kam unermüdlich dem Ziel entgegen. Dieses erreichte er letztendlich und siegte.

Die Zuschauer trauten ihren Augen nicht. Wie war das nur möglich? Ein Reporter-Frosch suchte das Gespräch. Als er mit dem Interview begann, kam vom Sieger keine Reaktion. Denn dieser Frosch war taub!


Verfasser unbekannt. Details wurden ergänzt in Anlehnung an die Diskussion rund um das Saarland-Modell






7.04.2021
Saarland-Modell gestartet
Seit gestern ist das gesamte Saarland eine Modellregion. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) beschrieb den Systemwechsel wie folgt: "Mehr impfen, mehr testen, mehr Achtsamkeit, mehr Möglichkeiten". Das Ziel der Staatsregierung sei, mit weniger Grundrechtseinschränkungen die Pandemie ebenso wirkungsvoll einzudämmen. Das breite Testen ermögliche, dass mehr Infektionen entdeckt werden; weitere Ansteckungen werden somit verhindert.

Mit tagesaktuellem Negativtest können sich im Außenbereich bis zu zehn Personen versammeln. Ferner ermöglicht die Testung Kontaktsport im Freien, kontaktfreien Sport im Innenbereich sowie den Besuch von Theater, Oper oder Kino. Mit vorheriger Terminbuchung und Kontaktnachverfolgung kann die Außengastronomie genutzt werden. Bei Einhaltung der allgemeinen Kontaktbeschränkungen ist ein Test nicht erforderlich. Mit Tests dürfen bis zu 10 Personen an einem Tisch sitzen. Ein Antigentest reicht aus; Selbsttests müssen vor Ort unter Aufsicht durchgeführt werden.


"Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen
als nur zu schließen und zu beschränken"


Tobias Hans (CDU), Ministerpräsident des Saarlands


Ein Ampelsystem stellt sicher, dass bei erhöhtem Infektionsgeschehen strengere Testvorschriften gelten. Bereits bei ersten Anzeichen einer möglichen Überlastung des Gesundheitswesens springt die Ampel auf Rot und Öffnungsschritte werden zurückgenommen. Das Monitoring erfolgt durch die Landesdatenstelle; wissenschaftlich wird das Modell von den saarländischen Hochschulen begleitet.

Das Saarland-Modell hat eine kontroverse öffentliche Diskussion ausgelöst. Kritik kam unter anderem von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der die Öffnungen als "falsches Signal an die Bevölkerung" bezeichnete. Die Ärztegemeinschaft Marburger Bund fügte hinzu, es müsse vorher eindeutig geklärt werden, was positiv getestete Menschen tun müssen. Ihre Quarantäne müssen Kommunen auch überprüfen. Begrüßt wurde das Modell etwa vom saarländischen Städte- und Gemeindetag sowie von der FDP Saar.

Die Regelungen sind zunächst bis zum 18.04.2021 befristet.





4.04.2021
Ostern: Naherholung eingeschränkt möglich
Andechs, Wannsee, Timmendorfer Strand: Tagesausflüge sind über das Osterwochenende meist gestattet. Nach Mecklenburg-Vorpommern dürfen Einwohner anderer Bundesländer nur aus triftigen Gründen einreisen. Hierzu gehören ausdrücklich nicht der Ausflug an die Seenplatte oder an die Ostseeküste. Der Norddeutsche Rundfunk berichtete, dass allein am Karfreitag um die 340 Menschen von Polizisten zur Rückkehr aufgefordert wurden. Während in Cuxhaven keine Tagestouristen erlaubt sind, ist ein Ausflug an die Ostfriesischen Inseln grundsätzlich möglich. Auf Wangerooge ist allerdings ein negativer Corona-Test verpflichtend. Auf Spiekeroog etwa sind die Kapazitäten der Fähren eingeschränkt. Im Fall der Fälle haben Reisende mit triftigen Gründen, etwa Inselbewohner, Vorrang.

Weiterhin appellieren Vertreter aus Politik und Wissenschaft, möglichst in der näheren Umgebung spazieren zu gehen und insbesondere beliebte Ausflugsziele nicht aufzusuchen. Etwa im bayerischen Alpenvorland oder im Harz kontrolliert die Polizei die Einhaltung der Corona-Regeln. Ebenfalls werden Parkverstöße geahndet. In Schleswig-Holstein blieb der befürchtete größere Ansturm an Nord- und Ostsee bisher aus. Mit ein Grund waren die vergleichsweise kühlen Temperaturen. Die Polizei in Niedersachsen meldete ein erhöhtes Aufkommen an Wohnmobilen.

Deutschlandweit gelten weiterhin die allgemeinen Hygieneregeln. In zahlreichen Fußgängerzonen und auf Seepromenaden gilt die Maskenpflicht; Kaffee und Kuchen gibt es nur zum Mitnehmen. Etwa in Berlin, Hamburg und München gelten nächtliche Ausgangsbeschränkungen, sodass Ausflügler darauf achten sollten, um 21 bzw. 22 Uhr wieder zu Hause zu sein.





3.04.2021
Wenn Äpfel giftig sind, warum auf Birnen verzichten?
Kommentar: Mobilität in der Pandemie
"Mobilität ist ein Treiber von Pandemien", betonte Prof. Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), am 29.01.2021. Kann man diesen Satz so stehen lassen? Der Blick auf die Details offenbart Verblüffendes – sowohl für das Ansteckungsrisiko während der Reise als auch am Reiseziel.

Eine Virusübertragung erfolgt, wenn sich mindestens zwei Menschen begegnen. Am gefährlichsten ist das in geschlossenen, ungelüfteten Räumen, in unmittelbarer mehrminütiger Gesprächssituation und ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen wie etwa Masken und Abstand. Diese Naturgesetze gelten in Stralsund genauso wie in Oberstdorf. Wer sich in der Heimat vernünftig verhält, dem kann zugetraut werden, sich überall vernünftig zu verhalten.


Mein gesunder Menschenverstand macht keine Pause, nur weil
der ICE die Landesgrenze zu Hessen passiert hat


Anhand von anonymen Mobilitätsdaten schätzen Experten, ob die Menschen im Lockdown brav zu Hause bleiben. Die Hypothese: Wer sich mehr bewegt, trifft mehr Menschen oder besucht mehr Geschäfte und Einrichtungen. Eine fragwürdige Prämisse. Sie wirft den einsamen Waldspaziergänger in denselben Topf wie das Feier-Biest, welches nachts von Party zu Party zieht. Und sollten alle Nachbarn eines Hochhauses zusammenkommen, gäbe es unter Umständen null Mobilität und Dutzende Ansteckungen.

Ist der schlechte Ruf von Mobilität mehr durch Evidenz oder mehr durch Ideologie geprägt? Im Rahmen seiner Strategie-Ergänzung vom 23.10.2020 stellte das RKI fest: "Das Risiko ist nicht primär an den Ort der Reise gebunden, sondern hängt wesentlich vom Verhalten des Einzelnen ab." * Auf gut Deutsch: Der einsame Strandspaziergang ist epidemiologisch anders zu bewerten als der Besuch der Großfamilie oder die nächtliche Kneipentour.


Sechs Stunden allein im Zugabteil, dann zehn Stunden allein im Hotelzimmer.
Wer da Ansteckungswege erkennt, hat viel Fantasie


Zur Ansteckungsgefahr während der Reise hat die Studienlage nach einem Jahr Pandemie viel an Qualität gewonnen. Der Wiener Umweltmediziner Prof. Dr. Hans-Peter Hutter wertete mehr als 100 Studien aus und präsentierte vor zwei Wochen sein Fazit. Bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen sei das Ansteckungsrisiko "sehr gering". Neben dem Tragen von Masken spielt die hohe Luftwechselrate eine entscheidende Rolle. ** Dass ein Restrisiko verbleibt, bestreitet Hutter nicht. Dieses sei jedoch in keiner Weise signifikant im Vergleich zu anderen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Bereits im Dezember 2020 konnte eine Studie der Deutschen Bahn AG (DB) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) nachweisen, dass die Mund-Nase-Bedeckung die Verbreitung von Tröpfchen und von Aerosolen wirksam hemmt. Ebenfalls wurde festgestellt, dass die Klimaanlage durch Frischluftzufuhr die Aerosole deutlich verdünnt. *** Zum Einsatz kam ein gewöhnlicher Mittelwagen eines ICE 2. Nach DB-Angaben wird die Luft im Fahrgastraum durchschnittlich etwa alle 7 Minuten komplett erneuert. Zu ähnlichem Fazit kam eine schweizerische Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Riediker im Januar 2021. Aerosole verteilen sich demnach nicht im ganzen Waggon; das verbleibende Risiko trifft nur die unmittelbare Umgebung eines Infizierten und lässt sich mit Schutzmasken weiter reduzieren. ****


"Wenn ich also ein, zwei Abteile von anderen Personen
entfernt sitze, passiert praktisch nichts"


Prof. Dr. Michael Riediker, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Arbeits- und Umweltgesundheit


Im September 2020 fand eine Studie der Deutschen Bahn und der Charite Research Organisation (CRO) heraus, dass DB-Mitarbeitende mit Kundenkontakt seltener an Covid-19 erkrankten als Beschäftigte ohne Kundenkontakt (1,3 % zu 2,7 %). ***** Eine Umfrage des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) vom Oktober 2020 ergab, dass sich Beschäftigte des ÖPNV seltener mit Covid-19 infiziert hatten als die Gesamtbevölkerung (0,29 % zu 0,54 %). Auffällig ist insbesondere die geringe Durchseuchung von Fahrkartenkontrolleuren und Sicherheitspersonal (0,28 %). ******

Eine interaktive Story von ZDF heute unter Beteiligung von mehreren renommierten Instituten zeigt: Im Nahverkehr sind die kurze Reisedauer und das regelmäßige Öffnen der Türe vorteilhaft. Im Fernverkehr kommt es sehr auf die Leistungsfähigkeit der Klimaanlage an. Trotz hohem Frischluftanteil kann es nachteilig sein, sich längere Zeit in demselben Wagen aufzuhalten wie ein Infizierter. ******* Das Stufenkonzept des RKI "ControlCOVID" in der Fassung vom 19.03.2021 bescheinigt dem Fernverkehr insgesamt ein niedriges Infektionsrisiko und einen niedrigen Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen. ********

In der Praxis spielen weitere Faktoren eine Rolle. Dass ein voller Zug ein höheres Risiko birgt als ein schwach ausgelasteter, liegt auf der Hand. Selbst an den Osterfeiertagen rechnet die DB mit einer Auslastung im Fernverkehr von etwa 25 %. Das ist zwar mehr als im ersten Lockdown vom Frühjahr 2020, kommt aber bei weitem nicht an die Auslastung vor der Krise heran. Erfahrene Bahnfahrer wählen ohnehin den Wagen, der die meisten freien Plätze bietet. Sollte sich trotz eindringlicher Appelle jemand mit akutem Husten im Zug befinden, hält einen niemand davon ab, den Wagen zu wechseln. Vorsicht und Vernunft fahren stets mit.




* https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Strategie_Ergaenzung_Covid.html
** https://infothek.bmk.gv.at/studie-bahnfahren-kein-infektionstreiber/
*** https://www.dlr.de/content/de/artikel/news/2020/04/20201216_studie-von-dlr-und-db-zeigt-mund-nase-bedeckung-wirkt.html
**** https://www.srf.ch/news/schweiz/ansteckungsrisiko-zug-versuch-zeigt-aerosole-verteilen-sich-im-zug-nur-wenig
***** https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Wissenschaftliche-Studie-Keine-Anzeichen-fuer-erhoehte-Corona-Gefahr-bei-Zugpersonal--5581064
****** https://www.vdv.de/presse.aspx?id=fcc0c57e-8746-438f-b034-2d73d956a5b0&mode=detail
******* https://zdfheute-stories-scroll.zdf.de/Ansteckungsgefahr_Corona_Bus_Bahn/index.html
******** https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/Stufenplan.pdf?__blob=publicationFile





30.03.2021
Meeresluft ist Gesundheit
Kommentar: Seelische Leiden in der Pandemie
Seit Jahrzehnten verschreiben Ärzte einen Aufenthalt am Meer – etwa bei Asthma und neulich bei Long Covid. Salzhaltige Luft, Brise und UV-Licht steigern die Widerstandsfähigkeit des Immunsystems. Auf die menschliche Psyche wirkt die Küste laut wissenschaftlichen Studien sehr erfreulich. Ebenjene Psyche, die seit Beginn der Pandemie besonders gefordert ist.


Psychische Krankheiten hören nicht auf zu existieren
nur weil die dritte Corona-Welle da ist


Der Deutschland-Barometer der Stiftung Deutsche Depressionshilfe 2020 * zeigt, dass depressiv Erkrankte etwa genauso viel Angst vor einer Ansteckung haben wie psychisch stabile Menschen (43 bzw. 42 Prozent). Gleichzeitig empfinden Depressionspatienten die Einschränkungen als deutlich belastender als die Allgemeinbevölkerung (74 bzw. 59 Prozent). Dass es den seelisch Geplagten schlagartig besser geht sobald die Maßnahmen gelockert werden, wäre ein Irrglaube. Während im Juli 2020 nur noch 36 Prozent der Gesunden die Situation als bedrückend empfand, waren das immer noch 68 Prozent der depressiv Erkrankten.


Im Kopf eines depressiven Menschen dauert der Lockdown länger.
Der Verlust an Freiheit erscheint drastischer


Bei einer leichten Verstimmung sind Medikamente noch nicht nötig. Ärzte empfehlen unter anderem soziale Kontakte, Bewegung im Freien, gesunden Tagesrhythmus und gleichzeitig viel Abwechslung im Alltag. Pustekuchen! Im Lockdown sind gerade diese Dinge zum Teil massiv eingeschränkt. Aus Mangel an schönen Erlebnissen ziehen sich die Leidenden selbst immer mehr zurück und erleben dadurch noch weniger Schönes – ein Teufelskreis!

Bekannt ist, dass Depression in Schüben verläuft. Die langen Zyklen werden von hochfrequenten Einflüssen überlagen (z.B. Tagesform, wöchentliche Nachrichtenlage). Anhand von Erzählungen bzw. Beobachtungen zeichnete ich folgende Grafik, die ein vereinfachtes Beispiel einer leichten depressiven Verstimmung zeigt. Bereits die eigene Vermutung, dass in Kürze Einschränkungen kommen könnten, lässt die Kurve bis zur Schmerzgrenze ansteigen. Als Politiker die verschärften Maßnahmen ankündigen, leidet die Person so, als würden sie bereits gelten.

Die Copsy-Sudie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom Januar 2021 zeigt, dass Kinder und Jugendliche im Lockdown besonders leiden. ** Sieben von zehn Kindern beklagen eine geminderte Lebensqualität; vor der Pandemie waren es nur drei von zehn. Im Vergleich zur ersten Befragung im Mai/Juni 2020 haben Ängste, Sorgen und depressive Symptome bei Kindern in der zweiten Welle deutlich zugenommen.

Im schlimmsten Fall führen psychische Störungen zu einem Suizid. In Deutschland nehmen sich täglich zwischen 25 und 30 Menschen das Leben. *** Da verlässliche Daten Zeit brauchen, werden wir den Einfluss der Pandemie erst in den nächsten Jahren beziffern können. Recherchen des Redaktionsnetzwerks Deutschland legen nahe, dass die Suizidhäufigkeit 2020 auf einem gewöhnlichen Niveau geblieben ist. **** Experten spekulieren, dass das die Ruhe vor dem Sturm sein könnte. Zu Beginn einer großen Krise ist der Zusammenhalt einige Wochen lang besonders stark. Mit zunehmender Dauer zehrt die Situation an der Substanz. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen zwei jährliche Höhepunkte der Selbstmorde: der erste im März/April, der zweite im Juli/August. *** Es ist nicht der dunkle Monat November, wie manch Laie vermuten könnte. Der späte Frühling mit Sonnenschein und 20 Grad ist für viele das rettende Ufer. Lockerungen würden diesen Menschen auf den letzten Metern Kraft geben.



Gerade im März und April brauchen Selbstmordgefährdete einen
Kraftschub für die letzten Meter zum rettenden Ufer


Apropos Ufer: Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Kombination aus Meeresrauschen, bestimmten Gerüchen und den Sandkörnern unter den Füßen die mentale Gesundheit stärkt. Eine Studie der Universität Exeter (Großbritannien) verglich Zensusdaten von Menschen, die bis zu 3 Kilometer von der Küste entfernt wohnen mit denen von Menschen, die mindestens 50 Kilometer entfernt wohnen. Die Küstenbewohner haben ihre eigene körperliche und seelische Gesundheit als deutlich besser angegeben als die Vergleichsgruppe. ***** Bereits ein einziger Tag am Meer soll eine spürbare Wirkung entfalten.

In der Fachsprache wird die psychische Widerstandsfähigkeit als "Resilienz" bezeichnet. Es ist dasselbe Prinzip wie bei einem Virus: Um uns herum sind Gefahren und wir wünschen uns gegenseitig, dass wir gesund bleiben. Der Sommerabend am Meer gibt uns Kraft, um so manchen Winterabend zu Hause durchzuhalten. Der Strandspaziergang ist pure Gesundheit. In der Pandemie erst recht.



* https://www.deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/deutschland-barometer/2020
** https://link.springer.com/article/10.1007/s00787-021-01726-5
*** https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html
**** https://www.rnd.de/gesundheit/suizid-wie-das-virus-indirekt-toten-kann-WCKI2VUR5VGJFK46QCRZAES5GA.html
***** https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1353829213000816





22.03.2021
Humorvoller Kommentar: Notbremse
Guten Abend, verehrte Fahrgäste, und herzlich willkommen im ICE der Deutschen Bahn nach Frankfurt. Mein Name ist Veselin Kolev, ich bin Ihr Zugchef. Für Fragen zum ordnungsgemäßen Gebrauch der Notbremse stehen Ihnen mein Team und ich gern zur Verfügung.





20.03.2021
Kommentar: Wenn Rerik Wolfsburg wäre
Wenn Rerik Wolfsburg heißen würde, wäre der Strand voller Erholungssuchende. Die Kneipen wären bis spätabends gut besucht, die Hotels würden in der zweiten und dritten Welle kleinere Brötchen backen und dennoch stabilen Gewinn erzielen. Erscheint diese Vorstellung grotesk?

Der direkte Vergleich zeigt: mitnichten! Volkswagen erzielte 2020 einen Jahresgewinn von 8,8 Milliarden Euro. Das ist zwar spürbar weniger als 2019. Doch wer in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg schwarze Zahlen schreiben darf, ist privilegiert. Lediglich in der ersten Welle standen die Produktionsbänder für wenige Wochen still. Gastronomie und Hotellerie waren hingegen in 7 von 12 Pandemie-Monaten geschlossen. Ein Ende der Durststrecke ist bis heute nicht in Sicht.


"Es ist Feiertag und wir können nirgendwo anstoßen.
Wir alle vermissen unsere Restaurants sehr"


Boyko Borissov, bulgarischer Ministerpräsident, im Februar 2021


Wurde die Autoindustrie in Deutschland etwa von der Politik geschont, als die "nationale Kraftanstrengung" ausgerufen wurde? Wir waren verwundert, als in Österreich zu Weihnachten die Skilifte öffneten – bei einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 160. In Bulgarien durfte am 1.03.2021 trotz exponentiellem Wachstum der Neuinfektionen die Gastronomie öffnen. Der gemeinsame Restaurantbesuch mit beliebig vielen haushaltsfremden Personen versteht sich dort von selbst. Es klingt wie Folklore. Die Deutschen bauen Autos, die Österreicher fahren liebend gern Ski und die Bulgaren sind gesellig. Doch die nackte Wahrheit ist eine andere. Am 12.03.2021 verdeutlichte Jan Böhmermann in der Sendung "ZDF Magazin Royale" den Einfluss österreichischer Skiliftbetreiber auf die dortige Politik. Dass VW, BMW und Co. mit der deutschen Politik einen gewissen Austausch pflegen, dürfte ebenfalls kein Geheimnis sein.


"Erzählen Sie mir nicht, dass Daimler und Konsorten acht Wochen auf Kurzarbeitergeld warten. Die haben viele Anwälte und gute Connections"

Textilunternehmerin Sina Trinkwalder in der Sendung "Maybritt Illner" am 18.02.2021


Legendär ist hierzu die Wutrede der Textilunternehmerin Sina Trinkwalder in der ZDF-Sendung "Maybritt Illner" am 18.02.2021. Sie warf dem Wirtschaftsministerium vor, mittelständische Betriebe in Stich zu lassen und erhielt daraufhin millionenfache Aufmerksamkeit und Sympathie in sozialen Netzwerken.

Dabei haben Besitzer von Hotels und Ferienwohnungen aus epidemiologischen Gesichtspunkten mindestens dieselbe Chance verdient. Aus dem Papier "ControlCOVID" des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 18.02.2021 geht hervor: In Hotels sind die Ansteckungsgefahr und der Anteil am Infektionsgeschehen geringer als in den allermeisten Produktionsbetrieben. Ähnliches gilt etwa für den Fernverkehr per Bahn. Bereits vor Monaten betonte RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar Wieler, das Infektionsrisiko hänge insbesondere vom Verhalten des Urlaubers ab – nicht vom Reiseziel.

Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA beklagte diesen Monat eine zunehmende Verzweiflung in der Branche. Etwa ein Viertel der Unternehmen erwägt konkrete Schritte in Richtung Insolvenz. 83 Prozent der Cafe- und Restaurantbesitzer bezeichneten die anvisierte alleinige Öffnung der Außengastronomie als ein Verslustgeschäft. Das wäre so, als würde VW bei vollen Fixkosten nur eine von drei Werkhallen betreiben dürfen. Betriebe ohne Außenbereich hätten schlichtweg Pech: sie könnten in absehbarer Zeit kein einziges Auto fertigen.





17.03.2021
Öffnungen in Rostock mit der Luca-App
"Wir schaffen die Zettelwirtschaft ab", verkündete Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am 12.03.2021. Die Gesundheitsämter des Bundeslandes sind seitdem an der Luca-App angeschlossen. Im Fall einer Infektion können die Kontaktdaten der Besucher etwa von Geschäften oder Behörden digital an das jeweilige Amt übermittelt werden. Die Zeitersparnis entlastet die Behörden, sodass mehr Spielräume hinsichtlich des Hochfahrens vom öffentlichen Leben entstehen. "Bisher haben wenige Menschen alle Daten gesammelt, jetzt tragen alle wenige Daten zusammen", erklärte Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen (parteilos).


"Wir alle sind Gesundheitsamt!"

Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister der Hanse- und Universitätsstadt Rostock


In Rostock erfreut sich die App großer Beliebtheit. Mehr als 800 Einrichtungen und Orte nutzen sie bereits. Mithilfe der App soll Rostock zur Modellregion "Smile City" werden. Das Leuchtturmprojekt soll aufzeigen, wie Öffnungsschritte sicher gestaltet werden. Das Volkstheater bereitet sich mithilfe der App auf eine Öffnung vor. Die ersten Vorstellungen sind für geimpfte Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen vorgesehen.

Neben der Kontaktnachverfolgung liefert die App wertvolle Erkenntnisse, indem sie Cluster erkennt. Madsen verspricht sich davon, Schulausfälle zu verhindern. Die zusätzliche Klarheit, wo sich Menschen wirklich anstecken, erlaube der Politik, Entscheidungen zunehmend wissensbasiert zu treffen.


Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen mit der Luca-App und dem Luca-Schlüsselanhänger.
Foto: Presse- und Informationsstelle der Hanse- und Universitätsstadt Rostock
Im Gegensatz zur Corona-Warn-App des Bundes werden Begegnungen nicht per Bluetooth aufgezeichnet, sondern durch ein bewusstes Einchecken. Die Validierung der Handynummer per SMS stellt sicher, dass die Kontaktdaten korrekt angegeben werden. Selbst ohne Mobiltelefon lässt sich Luca nutzen: Man kann zum Beispiel einen Schlüsselanhänger mit einem QR-Code mitführen oder beim Besuch der Einrichtung manuell in das System eingetippt werden. Die frühzeitige Einbindung von Datenschützern erweist sich als Erfolg: Die Daten stehen nur den Gesundheitsämtern zur Verfügung und nicht den Geschäftsbesitzern oder Dritten. Somit ist eine hohe Datensicherheit gewährleistet.

Entwickelt wurde die App vom Start-up-Unternehmen Nexenio, an dem unter anderem die Band "Die Fantastischen Vier" beteiligt ist. Rapper Smudo erläutert im Netz seine Motivation: "Der Besuch von Gastronomie und Kultur, von öffentlichen oder privaten Veranstaltungen, gehört zu unserem Leben dazu." Gleichzeitig betreffe die Pandemie uns alle: "Wir sind auch Eltern, Kinder, Enkel."


"Wir brauchen gesellschaftliche Kontakte, aber wir brauchen auch
die Möglichkeit, diese Pandemie zu begrenzen"


Rapper Smudo zur Luca-App


Weitere Wirtschaftsbranchen wie etwa Freizeit und Tourismus hegen die Hoffnung, dass die Luca-App einen baldigen und sicheren Neustart ermöglicht.






13.03.2021
Kommentar: Leben während wir am Leben sind
Ewig wird der Baum nicht leben. Wenn Wind und Wasser wüten, diskutiert die Küste nicht, ob an oder mit Covid-19. Je eher wir die Endlichkeit als Teil unseres Daseins akzeptieren, desto besser. Dieser Baum mahnt uns zu leben, solange wir am Leben sind.


Geburt und Tod gehören gleichermaßen zum Leben dazu


Laut statistischem Bundesamt sterben hierzulande täglich etwa 2600 Menschen. Spitzenwerte von bis zu 3500 Todesfälle pro Tag werden zur winterlichen Grippesaison sowie bei starken Hitzewellen erreicht. Im Dezember 2020 war eine Übersterblichkeit von bis zu 25 Prozent zu beklagen. Seit Januar 2021 ist der Trend rückläufig. Der Verlauf der Übersterblichkeit korreliert mit der Kurve der Covid-19-Opfer, die etwa ein Fünftel aller Todesfälle zu dieser Zeit ausmachen. * Allerdings ist die Spitze in der Sterblichkeit vom Dezember 2020 etwas niedriger als der Höhepunkt einer schweren Grippewelle im März 2018. ** In den kommenden Jahren wird die Sterblichkeit auch ohne Viruswellen aus rein demographischen Gründen ansteigen, da sich geburtenstarke Jahrgänge vermehrt dem Risikoalter nähern. Im hohen Alter spielt die Multimorbidität eine Rolle: ab einem gewissen Zeitpunkt haben Menschen so viele Krankheiten, dass der Tod eine Frage der Zeit ist und keiner einzigen Krankheit eindeutig zugeordnet werden kann.


Das Leben, welches wir monatelang schützen, wann findet es statt?


Bei Covid-19 sind 89 Prozent der Opfer in Deutschland 70 Jahre alt oder älter. *** Trotz des hohen Alters ist jeder vermeidbare Todesfall einer zu viel. Vergessen wir allerdings nicht, dass in Deutschland täglich etwa 2100 Menschen neu geboren werden. Geburt und Tod gehören gleichermaßen zum Leben dazu. Es ist wichtig, zu leben während wir am Leben sind. Das Leben, welches wir seit Monaten schützen, sollte so bald wie möglich wieder stattfinden.



* https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/Gesellschaft/bevoelkerung-sterbefaelle.html
** https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/_Grafik/_Interaktiv/woechentliche-sterbefallzahlen-jahre.html?nn=209016
*** https://de.statista.com/infografik/23756/gesamtzahl-der-todesfaelle-im-zusammenhang-mit-dem-coronavirus-in-deutschland-nach-alter/





12.03.2021
Verwaltungsgericht kippt Maskenpflicht in Hamburger Parks
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat einem Eilantrag gegen die allgemeine Maskenpflicht auf beliebten Grünanlagen der Hansestadt stattgegeben. Geklagt hatte ein Jogger. Dass die Maskenpflicht einem legitimen Zweck dient, erkannte das Gericht an. Da sie jedoch unabhängig vom Wetter und unabhängig vom Besucheraufkommen gilt, verstößt sie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Das Übermaßverbot resultiert aus dem Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Organe des Staates sind an geltendes Recht gebunden. Staatliche Maßnahmen müssen exakt auf ihr Ziel zugeschnitten sein. Sobald eine Verordnung über das Ziel hinausschießt, ist sie rechtswidrig.


Es reicht nicht, ein legitimes Ziel zu verfolgen


Der Hamburger Senat hatte eine generelle Maskenpflicht an Wochenenden und Feiertagen eingeführt, um die Ausbreitung insbesondere von ansteckenden Virusvarianten einzudämmen. Die Verordnung war eine Reaktion auf das hohe Menschenaufkommen in Parks während der Schönwetterphase Ende Februar. Das Gericht urteilt, dass die Hansestadt in Zukunft differenzierte Lösungen für diese Problematik erarbeiten muss.






3.03.2021
Bremen statt Dubai
Kommentar: Licht und Schatten von Influencer Marketing
Die einen bleiben brav daheim, harren im kalten, einsamen Corona-Winter. Die anderen fliegen in den Urlaub. Als wäre das nicht dreist genug, posten sie auch noch tagesaktuelle Strand-Fotos. Ein beliebtes Reiseziel ist Dubai. Vermehrt wandern Influencer gar dorthin aus. Doch die Schattenseiten sind unübersehbar. In der Sendung "ZDF Magazin Royale" am 12.02.2021 enthüllte der Satiriker Jan Böhmermann unschöne Details des Influencerparadies-Emirates.

Influencer sind – so die wörtliche Übersetzung – "Beeinflusser". Sie haben in den sozialen Netzwerken viele Fans – ein optimales Publikum für Werbung. Gegen ein Honorar empfehlen sie in ihren Beiträgen Produkte. Es fing an mit sportlichen Mädchen und Fitnessgetränken. Heute sind die "Beeinflusser" eine Landplage. Offenbar lohnt sich das für viele Firmen. Der Markt wächst weiter: Laut Umfrage von HypeAuditor hat die Hälfte aller Marken 2020 mehr Geld für Influencing ausgegeben als im Vorjahr. Die Pandemie hat diese Tendenz beschleunigt.


Was mit sportlichen Mädchen und Fitnessgetränken anfing,
ist heute eine Landplage


Das Tückische: Wer Influencing nicht kennt, hat die Illusion, dass der Mensch etwas aus seinem Privatleben erzählt. Nur Geübte erkennen die Werbebotschaft auf dem ersten Blick. Für Furore sorgte Jan Böhmermann, der die Zustände in Dubai aufklärte. Influencer verpflichten sich, ausschließlich Positives aus dem Emirat zu berichten. So erhalten sie etwa für ihre Besuche in Luxusrestaurants auch noch ein gewisses "Taschengeld". Politische Themen wie etwa Menschenrechtsverletzungen sind Tabu.

Als Gegenpol startete der Show-Moderator die Initiative "FeelBremen". Bis Ende Februar bewarben sich mehr als 8000 Menschen für die 50 Influencer-Lizenzen der Freien Hansestadt Bremen. Verlockend sind unter anderem die kostenlose Tageskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel und ein Gutschein für eine Bratwurst. Die Lizenznehmer verpflichten sich nur, mindestens ein Foto aus Bremen oder Bremerhaven zu posten und bestimmte Hashtags aufzuführen. Böhmermann genießt dabei die volle Unterstützung von Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte. "Wer braucht schon 830 Meter hohe Wolkenkratzer oder künstlich angelegte Inseln, wenn er Meinungsfreiheit haben kann?", heißt es unter anderem auf der Homepage des kleinsten deutschen Bundeslandes.


Was wäre, wenn plötzlich alle Influencer für einen guten Zweck werben?


Demokratie statt Dekadenz: Diese Aktion führt uns vor Augen, was möglich wäre. Ein Instagram-Post erreicht und bewegt mit Leichtigkeit mehr Menschen als Einhundert Politiker-Interviews. Wenn von heute auf morgen alle Influencer beschließen, statt für Produkte für gute Zwecke zu werben, könnten wir in Rekordzeit die großen Herausforderungen lösen. Pandemie, Klimawandel, soziale Gerechtigkeit... Wer viel Einfluss hat, trägt auch viel Verantwortung.





1.03.2021
Kommentar: Schöne Stadt, fragwürdige Verordnung
Es war Ende März 2020. Seit kurzem galten Ausgangsbeschränkungen. Im Englischen Garten in München beobachtete ich, wie ein Vater mit seinen zwei Söhnen Fußball spielte. Zwei Polizisten forderte die Menschen auf, zusammenzupacken und den Park zu verlassen. Man dürfe zwar spazieren gehen, allerdings nicht verweilen. Diese Szene markiert für mich die dunkelste Stunde seit meiner Einbürgerung 2013, als ich mich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland bekannte. Nach zahlreichen kritischen Anfragen stellte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann klar, dass man künftig im Park auch verweilen darf.


Es war ein Albtraum anzusehen, wie Polizisten
Menschen von Parkbänken vertreiben


Fast ein Jahr später greift Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt Düsseldorf ebenfalls zu einem solchen Instrument. Seit dem 26.02.2021 darf von Freitag bis Sonntag niemand am Rheinufer stehen bleiben, geschweige denn auf einer Bank sitzen. Die Stadt begründet das Verweilverbot unter anderem mit dem zu hohen Personenaufkommen am vergangenen Wochenende.

Der gesunde Menschenverstand gebietet es, in Zeiten der Pandemie weniger frequentierte Orte aufzusuchen. Wenn der Andrang dennoch zu hoch ist, sind Gegenmaßnahmen legitim. Doch es sei die Frage gestattet: Müssen wir nach einem Jahr in der Pandemie dieselben Holzhammer-Methoden auspacken wie zu Beginn?


Sind die Holzhammer-Methoden vom Beginn der
Pandemie jetzt noch zeitgemäß?


Langfristig können Verbote und Verordnungen kontraproduktiv wirken. Sie fördern nicht gerade die Eigenverantwortung der Menschen. So fängt der Infektionsschutz wieder bei null an sobald sie aufgehoben sind. Außerdem riskieren wir unser kräftigstes Werkzeug in der Pandemie: die Akzeptanz der Menschen. Fragwürdige Regelungen schwächen das Verständnis auch für die sinnvollen Maßnahmen. Die Menschen haben monatelange Entbehrungen durchgestanden und jetzt muten wir ihnen auch das noch zu.

Politiker haben wochenlang gewarnt und gedroht, man solle keine Ausflüge jenseits der näheren Umgebung machen. Dieselben Politiker monieren nun die vollen Innenstädte trotz geschlossener Läden. Wo sollen die Menschen hin, die zu Recht bei gutem Wetter ins Freie möchten? „Zu Hause bleiben“ mag zu Beginn der Pandemie, in einer absoluten Ausnahmesituation voller Unbekannten, die Antwort gewesen sein. Doch nach einem Jahr Forschung und Erfahrung ist das zu dürftig.


Zu hause bleiben darf nach einem Jahr Pandemie
nicht die einzige Antwort sein


Unterdessen ist die Notwendigkeit eines Verweilverbots nicht abschließend erwiesen. Aerosol-Forscher Dr. Gerhard Scheuch erklärte im Interview mit dem ZDF, dass die Ansteckungsgefahr im Freien wesentlich geringer ist als in geschlossenen Räumen. Das Risiko im Freien sei auf die Situation begrenzt, in der man mit einer direkten Kontaktperson aus nächster Nähe spricht und somit längere Zeit in einer Aerosolwolke verbleibt.

Falls Düsseldorf ein "Verweilproblem" hat, liegt die Lösung auf der Hand. Auf dem gegenüberliegenden Rheinufer ist reichlich Platz zum Abstand halten – und ein noch schöneres Panorama.





21.02.2021
Schleswig-Holstein: Tagesausflüge ans Meer erlaubt
In Schleswig-Holstein ist ein Strandspaziergang auch für Menschen aus anderen Bundesländern erlaubt. Nach Aussagen des Tourismusministers des Landes, Bernd Buchholz (FDP), soll das 2021 so bleiben. Das benachbarte Mecklenburg-Vorpommern hingegen hält an seinem grundsätzlichen Einreiseverbot fest. Der NDR berichtete von verstärkten Polizeikontrollen an diesem Wochenende, etwa im Raum Boltenhagen oder auf der Zufahrt zur Insel Usedom. Mehr als 500 Fahrzeuge mussten umkehren.


"Kontrollen an der Grenze zu Hamburg wollen wir nicht wieder erleben"

Bernd Buchholz (FDP), Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein
im Interview mit dem Spiegel am 20.02.2021


Für Schleswig-Holstein sei ein Verbot von Tagesausflügen laut Buchholz kein realistisches Ziel. Im Interview mit dem Spiegel erinnerte er daran, dass das nördlichste Bundesland mit Hamburg eine Metropolregion bildet. Es wäre eine unsinnige Regelung, einem Bewohner von Stormarn den Strandspaziergang zu ermöglichen und dem 500 Meter weiter wohnenden Hamburger nicht.

Hinsichtlich einer Wiedereröffnung der Tourismusbranche, vielleicht schon im April, zeigt sich Buchholz zuversichtlich, solange sich die Menschen weiterhin diszipliniert verhalten. Dieses Jahr stünden Schnelltests und verbesserte Mechanismen der Kontaktnachverfolgung zur Verfügung. Die "Strandampel" zur Steuerung der Besucherströme habe sich an der Lübecker Bucht bewährt und soll auf weitere Küstenabschnitte ausgeweitet werden.





17.02.2021
Kommentar: Böblingen zeigt Deutschland den Weg
Ist das die Blaupause für Deutschland, wie unsere Gesellschaft nach monatelangen Einschränkungen aufatmen kann? Seit dem 8. Februar dürfen sich alle Bewohnerinnen und Bewohner des Landkreises Böblingen zweimal wöchentlich kostenlos einem Schnelltest unterziehen. Das breite präventive Testen ermöglicht es, so Landrat Roland Bernhard, Ansteckungsketten nicht nur zu durchbrechen, sondern sie von vornherein zu verhindern. Einer der Macher dieser Strategie, der Böblinger Apotheker Björn Schittenhelm, schilderte im Interview mit der "Welt" seine Vision: Durch breites präventives Testen habe Deutschland eine realistische Chance, sehr bald aus dem ewigen Lockdown herauszukommen. Die Zukunft stellt er sich so vor, dass wir bereits vor Abschluss der Impfkampagne ein Leben weitgehend ohne Einschränkungen leben, indem jeder morgens vor der Arbeit einen Test macht.


"Massenhaftes präventives Testen könnte den Lockdown innerhalb weniger Tage entbehrlich machen"

Apotheker Björn Schittenhelm aus Böblingen im Interview mit der "Welt"


Die Idee scheint sich bis nach Berlin herumgesprochen zu haben: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kündigte gestern an, dass ab dem 1. März jede und jeder in Deutschland Anspruch auf kostenlosen Schnelltest erhält. Zudem sollen im Laufe des Monats März Tests zur Selbstanwendung verfügbar sein. Die Notärztin Lisa Federle, die den viel beachteten "Tübinger Weg" gestaltet hat und seit November mit Spenden finanzierte Tests in Tübingen anbietet, sprach von einer "richtigen und überfälligen" Maßnahme. Bereits im Januar hatte sich Federle für eine massive Ausweitung von Schnelltests ausgesprochen, auch Laientests für daheim. Im Interview mit dem ZDF kritisierte sie am 24.01.2021 die Zurückhaltung der Politik: "Das ist für mich genauso unsinnig, wie wenn ich sagen würde, man nimmt auch kein Kondom, nützt ja eh' nichts, ist nicht 100 Prozent sicher."


"Von Selbsttests abzuraten ist genauso unsinnig wie von Kondomen abzuraten"

Notärztin Lisa Federle aus Tübingen im Interview mit dem ZDF


Seit Beginn der Testkampagne sind die Neuansteckungen in Böblingen spürbar zurückgegangen. Lag die 7-Tage-Inzidenz zu Beginn des Testangebots noch bei 46, meldet das RKI heute 36 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner. Der benachbarte Landkreis Tübingen, der neben Testangeboten eine breite Offensive zur Sensibilisierung der Bevölkerung und zum Schutz vulnerabler Gruppen verwirklicht hat, zählte während der gesamten zweiten Welle mit die wenigsten Ansteckungen in Baden-Württemberg. Heute liegt die Inzidenz dort bei 34.





14.02.2021
"Die Straßen sind leer und Du bist es auch"
Kommentar: Singles in der Pandemie
Die "Millionen Lichter", mit denen Christina Stürmer auf die musikalische Art Singles Hoffnung machte, bleiben momentan zu Hause. Das Seminar, der Tanzkurs, die Geburtstagsfeier – alles in unerreichbarer Ferne. Das Studium, an sich ein soziales Paradies zum Kontakte knüpfen, ist durch Distanzlernen und Ausbleiben des Nachtlebens ein blasser Schatten seiner früheren Selbst. Und wer mitten im Berufsleben immer noch oder wieder mal Single ist, kämpft selbst ohne Pandemie gefühlt auf verlorenem Posten. Neue Bekanntschaften entstehen nicht, wenn man pandemiekonform mit seinem Kumpel spazieren geht und nach zwei Stunden wieder allein zu Hause sitzt.


Neue Bekanntschaften entstehen nicht, wenn man
kurz mit einem Kumpel spazieren geht


Für Langzeitsingles tickt die Uhr unerbittlich. Ein Jahr lang inzwischen. Dass diese Menschen am ersten Tag nach Aufhebung der Beschränkungen die große Liebe finden, ist eine Illusion. Viele Familien sind zurzeit durch Homeschooling und Homeoffice am Limit. Andere wiederum sehnen sich danach, überhaupt eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Urlaub ist ein Luxus, auf den man in Krisenzeiten jahrelang verzichten kann. Die Familiengründung nicht.


Familiengründung ist kein Luxus, auf den man jahrelang verzichten kann


Im Schatten der Diskussion um Familien und Friseure ist unter den Singles längst eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstanden. Die Regelbrecher machen weiterhin neue Bekanntschaften. Und ja: Auch in diesen Zeiten haben sie etwas Spaß. Die Guten, Braven bleiben einsam und bedrückt. Diese Wucht trifft sie doppelt, da sich die Vernünftigen noch mehr einschränken als ihnen die Verordnungen vorschreiben. Diese ungeschminkte Wahrheit soll keinesfalls auffordern, zu den Regelbrechern zu gehören. Sie sollte eher nachdenklich stimmen als Plädoyer für verantwortungsvolle Lockerungen. Weil dann die vernünftigen Alleinstehenden auch eine Chance bekommen.


Lockerungen sind wichtig, damit auch vorbildliche
Menschen eine Chance bekommen


In einer Umfrage des Online-Portals Statista gaben zwei Prozent an, dass sie sich zwischen Lockdown-Beginn und Mai 2020 bei der Dating-Plattform Tinder angemeldet haben. Tinder selbst verzeichnete Medienberichten zufolge Ende März 2020 einen Rekord bei der Nutzung der "Wisch"-Funktion und deutliche Zuwächse bei den Unterhaltungen zwischen den Nutzern und bei der Dauer der Gespräche. Ob das mehr glückliche Pärchen im realen Leben erschuf, bleibt in den Sternen.

Auf Facebook kursiert ein satirisches Video, bei dem Singles je einen Kaktus umarmen. Zum Ende hin wird in Aussicht gestellt, dass sich die Situation bei großer Impfbereitschaft unter jungen Menschen bessern wird. Nutzer Benjamin Dimanski kommentiert humorvoll: "Mittlerweile decke ich den Tisch für meinen imaginären Besuch. Man muss sich ja irgendwie ablenken." Björn Oppmann hingegen findet das Video gar nicht lustig. Angesichts der Versäumnisse in der Impfkampagne sei es daneben, sich über Menschen lustig zu machen, die seit Monaten nur noch arbeiten und schlafen dürfen.


Wer von der gesamten Bevölkerung Solidarität und Verzicht fordert, muss im Gegenzug Verständnis und Empathie liefern. Und lockern, so bald wie es möglich ist


Ob mit oder ohne Impfung: Das einzige, was Singles eine Perspektive bietet, sind menschliche Begegnungen. Am besten unbeschwert und in großer Runde. So, dass beim Picknick jede und jeder 2-3 weitere Kumpels mitbringt, ohne Hausstände zu zählen. Und ohne dass Politiker am nächsten Tag damit drohen, solche Picknicks zu verbieten. Wir träumen von einem Zustand, der jahrzehntelang selbstverständlich war. Wer in einer Notsituation von allen Bevölkerungsgruppen zu Recht über Monate Verzicht und Solidarität fordert, der hat eine moralische Verpflichtung. Gegenüber Familien und Singles, gegenüber Älteren und Jüngeren. Diese Verpflichtung nennt sich Verständnis. Idealerweise gepaart von Empathie. Und, kommen wir auf den Punkt, es ist die rechtliche und ethische Verpflichtung, Einschränkungen zu lockern, sobald mildere Mittel genügen.





31.01.2021
Kommentar: Der Weitblick der positiven Motivation
Schleswig-Holstein wagt einen "weiten Ausblick". Dabei meint Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) nicht den Blick aufs Meer. Eine neue Perspektive motiviert die Menschen, weiterhin die Zähne zusammenbeißen, auf vieles zu verzichten und die Regeln einzuhalten. Es ist eine feine und dennoch großartige Nuance in der Kommunikation zwischen Staat und Bürger: positive Motivation statt Mahnungen und Drohgebärden. Der "weite Ausblick" ist pure Weitsicht.


Positive Perspektiven stärken die Ausdauer. Sie sind pure Weitsicht!
Hoffnung rettet mehr Menschenleben als Angst.


Jeder von uns hat längst gespürt, dass die Pandemie kein Sprint sondern ein Marathon ist. Ende Oktober kündigten Merkel, Müller und Söder den "Lockdown light" als "Vier-Wochen-Therapie" für Deutschland an. Inzwischen sind dreizehn Wochen vergangen – und mehrmals verschärft wurde auch noch.

Der Marathonlauf verlangt Ausdauer. Schleswig-Holstein fördert sie. Vergangenen Dienstag stellte die Landesregierung einen "Perspektivplan" für die kommenden Wochen und Monate vor. Die Tabelle fasst zusammen, ab welchen Inzidenzwerten welche Bereiche geöffnet werden können. Günther ist zuversichtlich, dass ganz Deutschland Teile dieses Plans künftig übernimmt.

Ziel sind laut Landesregierung keinesfalls voreilige Lockerungen, sondern Hoffnung und Orientierung für Wirtschaftszweige und für die Bürgerinnen und Bürger zu bieten. Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) begrüßte den Plan. Er erinnerte daran, dass sich die Regierung für Lockerungen nicht erklären muss. Andersherum: sie braucht plausible Begründungen für Einschränkungen.


"Es braucht keine Erklärungen für Lockerungen, sondern vielmehr
plausible Begründungen für Einschränkungen"


Ralf Stegner, Fraktionsvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein


Dabei werden wir an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erinnert: In einem Rechtsstaat wie Deutschland darf keine Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, über das Ziel hinausschießen. Ändert sich das Infektionsgeschehen zum Besseren hin, müssen die Maßnahmen rechtzeitig gelockert werden – sonst droht ihnen die Rechtswidrigkeit.

Nicht zuletzt: Entscheidend für den Erfolg ist die Kommunikation. Tag für Tag mahnende Politiker, die mit noch mehr Grundrechtseinschränkungen drohen, ähneln Eltern, die das Beste für ihr Kind möchten und genau das Gegenteil bewirken. Muss man es in dieser ohnehin bedrückenden Zeit den Menschen unnötig schwer machen, durchzuhalten? Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer setzte hierzu ein Zeichen. Der Anblick von Familien, die unter Einhaltung der Regeln auf einem verschneiten Hügel rodeln, erfreue ihn ausdrücklich. Solch kleine Freuden helfen den Menschen, den Lockdown durchzuhalten und bergen bei vernünftigem Verhalten kein Infektionsrisiko. Respekt! Der Weitblick gelingt auch zwischen den Höhen der Schwäbischen Alb.


"Um eine derart dunkle Zeit zu überstehen, sollte die Politik den
Menschen diese kleinen Freuden lassen"


Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer auf Facebook, 6.01.2021






29.01.2021
Kommentar: Lebensfreude statt Konsumwahn – ein gesunder Neuanfang
Können wir noch mit den Achseln zucken, wenn eine Krankenschwester einen Bruchteil verdient von dem, was ein Fußballmanager hat? Dies fragte ich im Sommer 2019 Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel per Brief. Was wenige Monate später geschah, wissen wir. In demselben Brief beklagte ich, dass mit günstigen Flugtickets Menschen gelockt werden, für ein Wochenende nach Mallorca zu fliegen. Zugleich kostet eine Urlaubsfahrt vom Ruhrgebiet auf die Insel Rügen mit der umweltfreundlichen Bahn schier ein Vermögen.

Die verrosteten Überbleibsel der Industrialisierung mahnen uns. Mehr Wachstum, mehr Wohlstand – bis ins Unendliche, dachte man im 19. Jahrhundert. So manch Finanzmakler träumt heute noch von immer mehr, immer schneller, immer steiler. Aber es ist Gewissheit: Wachstum hat Grenzen. Weite Teile der Menschheit haben über ihre Verhältnisse gelebt. Seien wir ehrlich: Sie und ich auch.

Für die Virus-Toten im Winter zünden wir eine Kerze an. Doch während der Klimawandel mit sommerlichen Hitzewellen ebenso Opfer fordert, sitzen wir am Badesee. Ganz nebenbei, im Schatten der Pandemie, war 2020 das wärmste in Europa seit Beginn der Wettermessungen. Dass die Dekade 2011 – 2020 ebenso die bisher wärmste war, verwundert nicht. An Supersommer und schneearme Winter haben wir uns längst gewöhnt. Noch freuen wir uns über immer mehr Tage mit Badewetter. Bald reden wir jedoch von Wasserknappheit und Hitzetoten. Welcher Politiker wird dann den Mut haben, die Menschen aufzufordern, diese Kurve zu abzuflachen?


Deutschland bietet immer mehr wunderschöne Tage mit Badewetter.
Doch das ist kein Grund zur Freude


Hinzu kommt die Sache mit den Ressourcen. Machen wir uns nichts vor: Jedes neue Handy, jedes Kleidungsstück, jede plastikverpackte Bio-Tomate und auch jede Suchanfrage im Internet verbraucht Materialen, die uns die Erde nur in einer begrenzten Menge bietet. Wir sind nicht mehr weit von dem Punkt, an dem die Industrie beginnen wird, Ressourcen zu schonen und nach Alternativen zu suchen. Nicht aus Nächstenliebe und Bewusstsein, sondern aus purer wirtschaftlicher Not.

Laut einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen im Juli 2020 stammen etwa 60 Prozent der menschlichen Krankheiten aus dem Tierreich. Oft gelangen die Erreger erst durch die Nutztierhaltung zum Menschen (z.B. Rinderwahn, Vogelgrippe, Schweinegrippe) oder die Übertragung erfolgt beim Wildtierhandel (SARS-CoV-2). So spricht der UN-Bericht eine klare Botschaft: Wer menschliche Krankheiten verhindern will, sollte natürliche Ökosysteme erhalten und auf Massentierhaltung verzichten.

Für mich steht fest: ich möchte nicht zurück zur kranken Normalität. Viele von uns haben in den letzten Monaten erkannt, was man für ein erfüllendes Leben wirklich braucht. Gewisser materieller Wohlstand ist wichtig, doch Überfluss macht nicht glücklich. Eher im Gegenteil. Lebensfreude lässt sich nicht herstellen oder kaufen.

Die Zeit ist reif für das, was wirklich zählt.


"Im Krieg hatten wir einander, sonst nichts.
Heute haben wir alles, nur nicht einander."


Kabarettistin Lisa Eckhart am 26.11.2020 in der Sendung "Nuhr im Ersten"






19.01.2021
Busse und Bahnen fahren weiter
Eine Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) wurde auf der heutigen Videoschalte von Bundekanzlerin Dr. Angela Merkel mit den Ministerpräsident*innen der Bundesländer nicht beschlossen. Stattdessen soll die Ansteckungsgefahr im Berufsverkehr durch die Pflicht zum Tragen medizinischer Masken und durch verstärktes Homeoffice weiter reduziert werden.

Zuvor appellierte Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), an die Politiker, den Bus- und Bahnverkehr als Teil der Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten: "Wir müssen sicherstellen, dass jeder, der den ÖPNV nutzen muss, ihn auch nutzen kann!" Der Fahrgastverband PRO BAHN kritisierte darüber hinaus die Aufforderung des Freistaats Sachsen an ältere Menschen, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Eine zunehmende Verunsicherung der Bevölkerung sei zu befürchten.


"Die Panikmache gegen Bus und Bahn ist unverantwortlich!"

Fahrgastverband PRO BAHN, Landesverband Mitteldeutschland, 14.01.2021


Recherchen von Spiegel Online ergaben, dass insbesondere einkommensschwache Menschen auf Busse und Bahnen für den Weg zur Arbeit angewiesen sind. Wer es sich leisten, sei schon längst mit dem Auto unterwegs.

Der Fernverkehr (ICE/IC) ist derzeit laut Angaben der Deutschen Bahn mit 15 bis 20 Prozent sehr schwach ausgelastet. Er wird insbesondere von Geschäftsreisenden weiter genutzt. Häufig finden sich zudem Soldat*innen und Polizist*innen an Bord der Fernreisezüge. Mitarbeiter im Eisenbahnbereich sind auf die Fernzüge ebenfalls angewiesen – beispielsweise Lokomotivführer im Güterverkehr, die von einer Schicht nach Hause fahren.






16.01.2021
Kommentar: Tübingen ist da, wo Deutschland hin will
Gar nicht so lange her hat die ganze Welt Deutschland als Musterschüler beim Umgang mit der Pandemie hochgepriesen. Nun trauern wir um Zehntausende Menschen. Die bisherigen Daten des Statistischen Bundesamts sprechen für sich: die zweite Welle trieb die Übersterblichkeit nach oben.* Wie konnte es passieren, dass Deutschland die USA überholte in der Covid-Sterblichkeit? Jenes Land, wo die chaotisch-laxe Pandemie-Politik des Präsidenten Trump immer wieder in Verruf geriet?

Die allermeisten Politiker und Wissenschaftler behaupten, die Antwort zu kennen: Der bisherige Lockdown sei nicht streng genug. Doch nun widerspricht ein neunköpfiges Expertenteam um den Medizinprofessor Matthias Schrappe. Ausgerechnet beim Schutz der Schwächsten verfehlte der Lockdown seine Wirkung – stellt das Thesenpapier fest.

Meldedaten pro 100.000 Personen in der jeweiligen Altersgruppe.
Quelle: Schrappe et al., Thesenpapier 7 vom 10.01.2021 "Die Pandemie durch SARS-CoV-2/CoViD-19"

Die Grafik offenbart: Durch Kontaktbeschränkungen und Stopp von Freizeitaktivitäten konnte die Infektionskurve in allen Altersklassen abgeflacht und zwischenzeitlich gesenkt werden, nur nicht bei den Menschen über 85. Ausgerechnet die Menschen, die wir am dringendsten schützen wollen und müssen! Die neun Experten sprechen von einer "paradoxen Situation": Es erkranken immer mehr ältere Menschen, gleichzeitig sind sie diejenigen, die von der Lockdown-Politik am wenigsten geschützt sind. Der Alltag eines Pflegeheim-Bewohners ändert sich nicht wesentlich durch Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschränkungen. Das einzige, was hilft, ist zu verhindern, dass das Virus in das Pflegeheim gelangt.


"Die Lockdown-Politik ist gerade für die vulnerablen Gruppen wirkungslos"

Thesenpapier einer neunköpfigen Expertengrupe um Prof. Dr. Matthias Schrappe herum vom 10.01.2021


Dass Covid-19 "eine Erkrankung der Älteren" ist (Originalton aus dem Papier), wissen wir seit Monaten. Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, ist für Menschen über 70 etwa 100 Mal höher als für Menschen unter 50.** Diese rein mathematische Erkenntnis bewegte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zusammen mit der Notärztin Dr. Lisa Federle dazu, ein breites Paket an gezielten Schutzmaßnahmen für die Gefährdeten zu verwirklichen. Für insgesamt 50 Milliarden Euro wurden unter anderem FFP2-Masken kostenlos verteilt, Taxifahrten zum Preis eines Bustickets angeboten, separate Einkaufszeitfenster geschaffen und engmaschige Corona-Tests an Pflegeheimen ermöglicht. Das Testmobil oder die Teststation am Rathausplatz ermöglichten vielen Menschen ein Weihnachtsfest so gut wie ohne Risiko und ohne Sorgen.

Das Konzept zeigt deutliche Erfolge: Der bislang einzige große Ausbruch in einem Tübinger Pflegeheim in der zweiten Welle sei darauf zurückzuführen, dass das Pflegeheim die von der Stadt Tübingen angebotenen Tests nicht in Anspruch nahm, berichtete Federle in der ZDF-Sendung "Maybritt Illner" am 18.12.2020. Zeitgleich schilderte Palmer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass die Schnelltest einige Ausbrüche in Pflegeheimen in letzter Sekunde verhinderten und andere Ausbrüche zumindest früh erkannt wurden, wodurch weniger Menschen erkrankten.


"Es war von Gesundheitsexperten grob fahrlässig zu behaupten, man könne die Alten
ohnehin nicht schützen, und dann das Thema zu den Akten zu legen"


Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, im Interview mit dem RND
Inzwischen wurden Teile des Tübinger Konzepts zum besonderen Schutz in ganz Baden-Württemberg und anderen Bundesländern praktiziert – besser spät als nie. Palmer, in vielen Talkshows präsent, geht argumentativ einen Schritt weiter. Mit konsequenter Umsetzung solcher Schutzmaßnahmen können die extremen Auswirkungen eines langen Lockdowns verhindert werden. "Die Eigenschaft des Virus, die Jungen weitgehend zu verschonen, müssen wir zu unserem Vorteil nutzen", sagte der OB dem Schwäbischen Tagblatt. Mit wirksamem Schutz der Älteren können Kitas und Schulen offen bleiben.

Anders als in der ersten Welle hat die Diskussion um Palmer, unter anderem mit Beteiligung des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, deutlich an Sachlichkeit und Differenziertheit gewonnen. Inzwischen ist uns allen klar, dass es nicht darum geht, ältere Menschen zu isolieren während das Virus durch die restliche Bevölkerung durchmarschiert. Doch seien wir ehrlich – alles, was uns hilft, Leben und Gesundheit zu schützen, ist willkommen. Alles, was uns hilft, einen Lockdown zu verkürzen, die Kollateralschäden und Zumutungen zu mildern, ist ebenso willkommen. Ich habe Hoffnung, dass eines Tages ganz Deutschland Tübingen ist.

Die Wirkung des Lockdowns kann einerseits gewürdigt werden. Andererseits darf sie kritisch hinterfragt werden – das ist gelebte Wissenschaft und gelebte Demokratie! Tübingen zeigt uns einen wirksamen Weg, wie wir aus der endlosen Spirale an immer härteren Maßnahmen mit hohen gesellschaftlichen Kosten herauskommen können. Wie wir Leben und Gesundheit wirksam schützen können.


* https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/Gesellschaft/bevoelkerung-sterbefaelle.html
** https://www.spektrum.de/news/covid-sterberate-aeltere-maenner-sind-besonders-gefaehrdet/1765438





7.01.2021
Entspannte Situation am Hohen Peißenberg
Etwa zwei Dutzend Familien sind heute zum Hohen Peißenberg gekommen. Sie verteilen sich auf mehrere Schneehänge. Die jauchzenden Kinder auf ihren Schlitten sind von weitem zu hören. Verstöße gegen die Infektionsschutzauflagen sind hingegen nicht erkennbar. Die allermeisten Autos tragen Kennzeichen des hiesigen Landkreises Weilheim-Schongau. Vereinzelt sind Fahrzeuge aus Augsburg und München zu sehen.

Die von der Ministerpräsidentenkonferenz kürzlich beschlossene strenge Mobilitätseinschränkung von Menschen in Hot-Spots ab einem Wert von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen wurde insbesondere durch überlaufene Ski- und Rodelhänge begründet. Etwa im Sauerland oder im Taunus war der Andrang über den Jahreswechsel besonders groß. Anders als in Oberbayern hatte sich dort keine flächendeckende Schneedecke gebildet, sodass sich die Menschen in den wenigen verschneiten Regionen drängten.

Winterliche Lebensfreude und Wintersport leiden zunehmend unter dem Klimawandel. Die deutschen Mittelgebirge sowie der Norden sind immer seltener verschneit. Auch die sonst schneesichere Alpenregion beklagt seit Jahren zunehmenden Schneemangel. Umso größer die Freude, wenn man den Schlitten mal wieder auspacken kann.






2.01.2021
Wandern bleibt erlaubt – mit Rücksicht und Vernunft
Am Dienstag stellte der Bayerische Innenminister, Joachim Herrmann, klar: Wandern ist weiterhin erlaubt. Der Staatsminister verwies auf die Bayerische Verfassung, die freien Genuss der Natur gewährt. Zuvor hatte der Miesbacher Landrat, Olaf von Löwis, über stark erhöhten Ausflugsverkehr geklagt. Er forderte die Staatsregierung auf, ihn mit einer Verschärfung der Regeln zu unterbinden. Innenminister Herrmann entgegnete, die Polizei habe in den vergangenen Tagen weder drastische Corona-Verstöße noch einen Andrang, der über den üblichen Ausflugsverkehr hinaus geht, festgestellt.


"Der Genuss der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur
(…) ist jedermann gestattet."


Artikel 141, Absatz 3, Satz 1 der Bayerischen Verfassung


Die Elfte Bayerische Infektionsschutzverordnung schreibt für sportliche Aktivitäten im Freien keine Entfernungsbegrenzung vor. So sind selbst Ski- oder Rodeltouren trotz geschlossener Liftanlagen erlaubt. Anders im Freistaat Sachsen: Spazieren, Sport treiben und Lebensmittel einkaufen dürfen die Menschen dort nur im Umkreis von 15 Kilometern um den Wohnort herum.

Herrmann bekräftige erneut den Appell der Staatsregierung, bei Ausflügen auf Abstände zu achten und Gruppenbildungen zu unterlassen. Landtagspräsidentin Ilse Aigner forderte insbesondere die Münchnerinnen und Münchner auf, in der näheren Umgebung zu spazieren anstatt in den Bergen.

Am Alpenrand sind manche Ausflugsziele zu jeder Jahreszeit überlaufen. Im Corona-Jahr 2020 schaffte es die Problematik häufig in die Tagesberichterstattung. Wer gesunden Menschenverstand mitbringt, erkundet lieber die Geheimtipps und wandert dort mehr oder weniger allein. Bayern hat mehr Naturschönheiten zu bieten als Schliersee und Walchensee.





13.12.2020
Humorvoller Kommentar: Essensvorräte
Und, habt ihr schon eure Essensvorräte für den Winter? :)





6.12.2020
Kommentar: Suchen wir nach Lösungen, nicht nach Schuldigen
Spätsommer 2020. Besorgte Politiker mahnen abermals. Journalisten seriöser Medien erheben in ihren Kolumnen vorwurfsvoll sämtliche Zeigefinger. RND, Zeit Online und viele mehr verurteilen weite Teile der Bevölkerung für eine Nachlässigkeit oder übertriebene Sorglosigkeit. Spitzenpolitiker und Wissenschaftler nährten vor allem in den ersten Monaten der Pandemie immer wieder den Generalverdacht gegen junge Menschen. Es tut weh zu lesen, ich habe es "zu sehr krachen lassen"*, obwohl ich im Sommer lediglich wandern war und 2-3 Freunde getroffen habe.

Es ist dringend Zeit für einen Weckruf. Und für Fakten. Wir suchen nach Schuldigen, die womöglich gar keine sind. Bei den vermehrten Virus-Einschleppungen aus dem Ausland zwischen Mitte Juli und Mitte August dominieren laut Robert-Koch-Institut (RKI) nicht die klassischen Urlaubsländer wie Italien oder Spanien. Der Mythos vom Corona-Hotspot am Ballermann kann dadurch relativiert werden – auch weil die Behörden dort rechtzeitig eingegriffen haben.


Ein guter Mensch sucht nach Lösungen, nicht nach Schuldigen.
Damit sind die Erfolgschancen höher für uns alle


Der Schwerpunkt positiv getesteter Reiserückkehrer lag eindeutig auf dem Balkan – Kosovo, Nordmazedonien, Türkei, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Bulgarien, Rumänien usw. Es sind größtenteils Menschen, die in Deutschland leben und arbeiten, und voller Vorfreude einmal im Jahr ihre Verwandte und Freunde auf dem Balkan besuchen. Was ist daran verwerflich?

Bei den Ausbrüchen innerhalb von Deutschland hören wir: hier ein Familienessen, dort ein Gottesdienst. Alles im Rahmen der damals geltenden Regeln. Was ist daran verwerflich? Das RKI untersuchte die Ansteckungswege bei 55000 Infizierten***. Mehr als die Hälfte der Virusübertragungen passierten im häuslichen Umfeld. Besonders groß sind die Ausbrüche in Pflege- und Asylantenheimen, da dort mehr Menschen enger zusammenwohnen. Familie bzw. Mitbewohner zu haben scheint Risiko Nummer eins zu sein. Nicht das Hotel, nicht die Bahn, nicht der angeblich permanent überfüllte Strand an der Ostsee.

Die Spitze des Eisbergs war die so genannte Superspreaderin in Garmisch-Partenkirchen. Die Schuldzuweisungen und Forderungen harter Strafen kamen von höchster politischer Ebene. Der Faktenfinder der ARD kam nach gründlichen Recherchen zu dem Ergebnis, dass die Frau gar keine Superspreaderin war.****


"Auch beim Ausbruch in Hochhäusern in Göttingen kamen die Schuldzuweisungen
voreilig, die Belege dafür blieben dünn"


Andrej Reisin, NDR, und Patrick Gensing, tagesschau.de, am 17.09.2020


Wir müssen weg von der Vorwurfs- hin zu einer Lösungskultur kommen. Im Fußball kämpft man als Mannschaft. Der Patzer eines einzelnen Spielers kann uns ein Gegentor einbrocken. So liegt die gesamte Mannschaft hinten. Die Frage ist, was wir jetzt machen. Ärgern wir uns, schimpfen wir den Sündenbock zusammen? So schwächen wir uns noch mehr selbst. Oder mobilisieren wir unsere Kräfte, sprechen uns gegenseitig Mut zu, bauen den Mann auf, der den Fehler machte? So nutzen noch die Chance, in den verbleibenden Minuten das Spiel zu drehen.

Gerade jetzt brauchen wir Zusammenhalt statt Vorwürfe. Wir brauchen Politiker, die versöhnen anstatt zu spalten. Wir brauchen Menschen, die nach Lösungen suchen anstatt nach Schuldigen.



* Zeit Online, 18.08.2020 „Ist die Party vorbei?“
**Situationsbericht des RKI vom 18.08.2020
***https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf?__blob=publicationFile
****https://www.tagesschau.de/faktenfinder/superspreaderin-garmisch-corona-101.html





4.12.2020
Kommentar zur Wiedereröffnung der DB Lounges
Mit lauten Protesten erreicht man nichts. Mit vernünftigen Argumenten sehr viel! Ich habe die Deutsche Bahn gebeten, die Lounges zu öffnen - als Räume zum Arbeiten, erst mal ohne Getränke. Danke! Dieser Teilerfolg gehört uns allen!





29.11.2020
Humorvoller Kommentar: Reden wir zu viel über das Skifahren?
Wir reden viel über das Skifahren und wenig über die Dinge im Leben, die wirklich wichtig sind. Das Thema Bergwandern kommt viel zu... Kurz! :)





13.11.2020
Humorvoller Kommentar: Wellenbrecher
Der Wellenbrecher wirkt. Jeder von uns hat da einen wertvollen Beitrag geleistet. Darf ich jetzt bitte meine Füße aufwärmen? :) Ich brauche keine fünf Sterne. Nur einen beheizten Raum. Gern auch ein warmes Getränk.





17.10.2020
Die ganz stille Welle – und wie wir sie meistern
Denise aus Würzburg erzählt eine berührende Geschichte. Ihre bis dahin rüstige Oma stürzte am Muttertag 2020. Sie kam zunächst ins Krankenhaus. Seither verschlechtert sich ihr Zustand. Der coronabedingte Ausfall der Reha hatte sicher Anteil daran. Jetzt sitzt die 86-jährige in einem Pflegeheim. "Man darf sich nur noch durch die Plexiglasscheibe sehen. Im Sommer konnte man zumindest raus, um ein wenig Nähe zu schaffen", berichtet Denise. Es gelten strenge Einschränkungen: maximal eine Stunde, kein Betreten des Zimmers. So frieren die Dame und ihre Besucher auf dem Balkon. Sie hat unzählige Angehörige, sogar sieben Urenkel. Doch beim Besuch im Pflegeheim darf Denise ihre Tochter nicht mitnehmen. Der Gedanke, dass ihre Oma den restlichen Lebensweg größtenteils allein bestreiten muss, ruft bei Denise tiefe Trauer hervor.


"Sie hat so viele Enkel und Urenkel – doch kaum jemand darf sie besuchen"

Denise aus Würzburg über die Situation ihrer Oma im Pflegeheim


Auch im Alltag spürt Denise eine zunehmend geladene Stimmung in der Bevölkerung – die aufs Gemüt drückt. Sie entlädt sich beispielsweise, wenn jemand im Bus vergisst, die Maske aufzuziehen. Wenn selbst gesunde Menschen gereizt sind und schlechter schlafen, wie steht um diejenigen mit vulnerabler Psyche?

Bereits im August 2020 meldete der Deutsche Psychotherapeutenverband eine Zunahme von Patienten mit Ängsten und Depressionen. Im Oktober veröffentlichte der Axa-Konzern die Ergebnisse einer Untersuchung: Ein Drittel der Deutschen hat eine Verschlechterung der psychischen Verfassung während der Coronakrise erlebt. Am meisten betroffen sind Menschen, die bereits vor der Krise psychisch labil waren. Von ihnen beklagten 45 Prozent das Gefühl, während der Pandemie die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben.

Prof. Dr. Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin, mahnte im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung": Einsamkeit ist ein gesundheitlicher Risikofaktor. Das Ausmaß sei vergleichbar mit Fettleibigkeit, Rauchen und Bluthochdruck.

"Soziale Isolation kostet uns Lebensjahre"

Prof. Dr. Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin


Für den weiteren Verlauf von Herbst und Winter erwarten Wissenschaftler eine Zuspitzung der Situation. Die Gründe für seelische Schwierigkeiten in der Pandemie sind vielfältig und gehen weit über das Thema "Virus" hinaus. Unter anderem sind es: Angst um die eigene Gesundheit und die der Nächsten, Einsamkeit, Existenzängste, Sorge um Verschlechterung der Situation angesichts von Menschen, die Regeln nicht beachten, Angst vor Freiheitsbeschränkungen, vermehrte Spannungen in der Familie oder unter Freunden, Perspektivlosigkeit (z.B. Künstler), Spaltung und Unruhe in der Gesellschaft, eingeschränkte Gesunderhaltung (Freizeitaktivitäten, Erholungsurlaub).

Wenngleich manches objektiv schwerer wiegt: Alle psychischen Leiden sollten wir gleichermaßen ernst nehmen.


Wie können wir wirksamen Infektionsschutz leisten und gleichzeitig
seelische Wunden lindern oder gar heilen?


Die ersten Schritte sind Verständnis und Solidarität – für körperliche und seelische Leiden gleichermaßen. Eine gesellschaftliche Debatte darüber kann versöhnlich und dennoch offen geführt werden. Wir können als Gesellschaft dann bewusst entscheiden: Trotz akuter Infenktionsgefahr ist es uns beispielsweise wichtig, dass sich Menschen von sterbenden Angehörigen anständig verabschieden können.

Politische Maßnahmen können psychische Belange berücksichtigen. Hier wurden mit den Lockerungen im April 2020 spürbare Verbesserungen erzielt. Große Grillfeier: Nein. Beste Freundin/besten Freund treffen: Ja. Festival: Nein. Spaziergang am Strand oder in den Bergen: Ja.

Der wissenschaftliche Fortschritt kommt uns entgegen und möchte intelligent eingesetzt werden. Anstatt Testkapazitäten für Urlauber zu verwenden, könnten sie in Pflegeheimen mehr Besuche ermöglichen. Auf Pressekonferenzen darf es trotz ernster Lage auch etwas Zuversicht sein. Manchmal reicht es, die Sprache umzukehren. Anstatt zu warnen, wie schlimm das Weihnachtsfest wird, wenn wir jetzt Hygieneregeln vernachlässigen, kann man betonen, wie fröhlich das Weihnachtsfest wird, wenn wir jetzt alle aufeinander Acht geben.






19.09.2020
Humorvoller Kommentar: Nur Mut!
Komm schon, Miezi :) Du kannst dein Versteck verlassen. Da draußen ist es so schön! Und wenn du dich vernünftig und rücksichtsvoll bewegst, ist es draußen sehr sicher. Wartest du bis die Herren im Fernsehen Zuversicht und leichte Entwarnung verkünden? Tja, dann wartest du ein Leben lang…





16.09.2020
Kommentar: Rot = 2020
Gewöhnen wir uns irgendwann an die roten Aufkleber? Eine Pandemie, die damit verbundenen Gefahren und Schutzmaßnahmen sind, zumindest in Europa, immer noch eine absolute Ausnahmesituation. So erscheinen die roten Aufkleber in Momenten des Innehaltens als Fremdkörper, die zur gegebenen Zeit entfernt und entsorgt gehören. Meinetwegen gern im Frühling 2021. Dieses Bild soll daran erinnern, dass da noch etwas ist; dass sich sicherlich viele Bahnfahrer zu einer passenden Zeit ein Reisen ohne Einschränkungen und ohne Komforteinbuße wünschen. Ein Reisen wie es vor nicht allzu langer Zeit einmal war.





20.08.2020
Humorvoller Kommentar: Schwarze Schafe
Was habt ihr gegen schwarze Schafe? Sie sind auch nur Menschen. :)





16.08.2020
Kommentar: Die Küste und die Wellen
Ich habe es gesehen! Die zweite Welle hat auch ein Ufer gefunden. Die dritte ebenso. Die vierte, fünfte… Hier haben schon Millionen Wellen gewütet. Es ist nicht ohne! Die Küste hatte zu kämpfen und Teile der Küste sind abgebrochen. Wir trauern um jedes Sandkörnchen. Für die verbliebenen Sandkörnchen besteht genauso gewisse Gefahr. Trotzdem, all das gehört zum Leben ganz klar dazu. Nur, wisst ihr was? Die Küste steht noch! Das ist Fakt. Und wenn du Mensch bist, darfst du seriöse Meldungen von Hoffnung und Zuversicht nicht länger abstreiten.





9.08.2020
Die Kraft von Worten und Fotos
Journalisten und Fotografen leisten während der Pandemie wertvolle Arbeit für uns alle. Vertreter der seriösen Medien berichten sorgfältig und gewissenhaft. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Nuancen – bei jedem Wort und bei jedem Foto!

Fakten sind Fakten. Doch die Wahl von Perspektive und Worten kann eine Aussage verstärken. Sie kann Gefühle entstehen lassen oder verstärken. Beide obigen Bilder zeigen eine und dieselbe Szene aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Keines ist manipuliert, beide sind wahrheitsgetreu. Das eine Bild suggeriert einen überfüllten Strand mit vielen sorglosen Menschen. Das andere macht den Eindruck von kleinen Gruppen normaler vernünftiger Menschen, die Abstände einhalten während sie ihre Freunde treffen. Das linke Bild macht uns Sorgen, das rechte beruhigt uns.

Ähnlich verhält es sich mit der Wahl von Worten, wie das folgende Beispiel zeigt:


"Aufgrund der Corona-Pandemie fällt das Sommerfest 2020 aus"

"Aufgrund des grassierenden Coronavirus fällt das Sommerfest 2020 aus"


Beide Sätze sind inhaltlich korrekt. Doch ein einziges Wort, "grassieren", weckt bereits Vorstellungen und Emotionen in uns. Denken wir daran: Jede Nachrichtenmeldung, jedes Interview, jeder Bericht kann aus Hunderten von Worten bestehen – und jedes Wort kann kraftvoll sein.

Während der Pandemie gehören auch Grafiken zum alltäglichen Medienkonsum. Beide unteren Grafiken zeigen dieselbe Situation zum selben Stichtag. Der gut informierte Leser erkennt sofort die kumulierten Fälle links und die täglichen Neuinfektionen rechts. Ein Laie hingegen sieht links eine Kurve, die immer wächst: mal schneller, mal langsamer. Rechts hingegen ein Verlauf, der mal wächst und mal fällt.
Die Welt um uns herum ist weder schwarz noch weiß. Selbst die Fakten, die Wirklichkeit unseres Lebens, hat mehrere Facetten. Trotz sorgfältig aufbereiteter Informationen lohnt es sich für jeden Leser, auf Wortwahl, Perspektive und Betonung zu achten.





3.07.2020
Zuerst der Gesundheitsschutz. Doch was kommt dann?
Gute Fotografen achten nicht nur auf das Hauptmotiv. Vorder- und Hintergrund können die Bildaussage deutlich verstärken! Denselben Weitblick brauchen wir, wenn wir die gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise würdigen.

So sehen wir im Vordergrund den Elbstrand. Er steht für Naherholung, Sport, soziale Kontakte - ein Symbol Hamburger Lebensfreude. Im Hintergrund ist der Hamburger Hafen. Der internationale Handel ist ein Motor der Wirtschaftstätigkeit in Deutschland. Die Frage der Fragen: Welches Bildelement ist uns am wichtigsten?

Der Gesundheitsschutz steht an erster Stelle – hierüber herrscht 2020 ein breiter Konsens innerhalb der Gesellschaft. Doch was kommt als zweites? Den Hamburger Hafen zeigen die Medien vermehrt als Sinnbild der zurzeit schwächelnden deutschen Wirtschaft. Sie ist neben der medizinischen Komponente das bestimmende Thema öffentlicher Diskussionen. In einem Strategiepapier äußert der Wirtschaftsrat Deutschland Ende April 2020 Sorgen, dass der Lockdown eine massive Insolvenzwelle und den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen zur Folge hätte. Das Ergebnis wäre ein "erheblicher Wohlstandsverlust für die allermeisten Bundesbürger".

Ist also die Wirtschaft am wichtigsten? Immerhin hängen die Existenz und der Wohlstand jedes Einzelnen von einer intakten Volkswirtschaft ab. Ein Gleichgewicht in diesem System ist entscheidend für unser Leben. Die Finanzkrise 2007 zeigte, dass selbst abstrakte, monetäre Turbulenzen ganz schnell die realen Güter – und damit unser reales Leben – beeinflussen können.

Doch messen wir alles mit Zahlen? Wie ist es mit dem menschlichen Bedürfnis nach sozialen Kontakten? Gesundheitsfördernde Aktivitäten wie Sport? Wie vergleichen wir monetäre Werte mit kulturellen Werten? Wohlstand ist vielleicht messbar, doch wie misst man Lebensfreude?


Wohlstand kann man vielleicht beziffern. Doch wie misst man Lebensfreude?


Es gibt Perspektiven und Erkenntnisse, die andere Aspekte mindestens gleichrangig mit der Ökonomie einstufen. Ein Lehramtsstudent empfindet den verstärkten Fokus auf die Wirtschaft als grenzwertig und einseitig. Vielmehr sollen elementare menschliche Bedürfnis im Mittelpunkt stehen, beispielsweise Nähe zu Mitmenschen und Austausch. Das Recht auf Bildung ist seiner Meinung nach essenziell. Er sieht die Gefahr, dass Homeschooling und das Losreißen von den Schulkammeraden Ungleichheiten zwischen den Schülern noch verstärken – vor allem zu Lasten von Kindern, die ohnehin benachteiligt sind. Diese stammen in der Regel nicht aus wohlhabenden Verhältnissen und/oder erleben vermehrt Spannungen in der Familie.

Ein ganzheitlicher Therapeut warnt vor den langfristigen gesundheitlichen Folgen für junge Menschen. Seine langjährige Erfahrung zeige, dass traumatische Erlebnisse aus der Kindheit bestimmte Menschen ein Leben lang beeinträchtigen. Dabei können Kinder ein einmaliges traumatisches Erlebnis (z.B. eine Misshandlung) in der Regel besser verarbeiten als gefühlte Unterdrückung über einen längeren Zeitraum. "Die Vernunft ist bei Kindern noch nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsenen. Das Losreißen vom gewohnten Leben, das nicht spielen dürfen mit anderen Kindern, erleben sie auf psychischer Ebene so intensiv wie ein Erwachsener einen Aufenthalt im Gefängnis. Egal wie gut die Eltern auf der Sachebene argumentieren: die Gefühlswelt des Kindes malt trotzdem eine Bestrafung."


"Nicht spielen zu dürfen fühlt sich für Kinder genau so an
wie ein Gefängnisaufenthalt für Erwachsene"


ein ganzheitlicher Therapeut


Als junge Erwachsene entwickeln traumatisierte Personen unter Umständen asoziale, aggressive oder depressive Tendenzen. Das können Langzeitschäden werden, die uns als Gesellschaft noch Jahrzehnte in der Form von Unmut und Kriminalität begleiten, weil diese Menschen gerade jetzt ins Erwachsenenleben einsteigen. Außerdem ist es nach Auffassung des Therapeuten unmenschlich, Kindern beim Besuch der Großeltern oder schon beim Gedanken daran Schuldgefühle zu einzujagen. "Das ist gesundheitlich wie gesellschaftlich fatal".

Die Pandemie hat uns gezwungen, innerhalb kürzester Zeit zu priorisieren. Was schließen wir als letztes? Und was öffnen wir als erstes? Hier offenbaren sich gesellschaftliche Werte und Prioritäten. Dieses Thema wird uns weiter treu bleiben. Ob wir wollen oder nicht – wir werden uns darüber Gedanken machen müssen, was uns wichtig ist und was verzichtbar wäre. Spätestens wenn sich der Klimawandel zuspitzt.





26.06.2020
Kommentar: Sehnsucht nach Sommerloch
Ostfriesland. Sehr zu empfehlen! Ich finde, Politiker und Experten haben zuletzt harte und wertvolle Arbeit geleistet. Nun haben sie Urlaub verdient. Gern mehrere Wochen oder Monate am Stück. Eine Zeit ohne Briefings fände ich ganz gut. Keine Warnungen, keine Mahnungen, keine erhobenen Zeigefinger. Einfach Ruhe. Durchschnaufen für alle. So ein richtiges Sommerloch – das wäre es!





2.06.2020
Die reale Märchenwelt
Ein märchenhafter Parkspaziergang ist im Krisenjahr 2020 kein Traum. Er ist Realität!





25.05.2020
Gedämpfte Aufbruchstimmung an Nord- und Ostsee
Ein magischer Tag am Meer: Als letztes norddeutsches Bundesland beendet Mecklenburg-Vorpommern heute das Einreiseverbot für Touristen aus ganz Deutschland. Erste Urlauber kommen mit ihren Koffern an. Von Massentourismus und Ballermann fehlt jede Spur – sie haben an Nord- und Ostsee, abgesehen von wenigen Hotspots, ohnehin keine Tradition. Es überwiegt die stille Freude des ausgiebigen Strandspaziergangs. Das, wofür Tausende Menschen jährlich hierhin reisen.

Hoffnung macht sich bei Gastronomen und Hoteliers breit, wenngleich gedämpft. Bei maximal 60 Prozent Auslastung der Hotels sowie Abstands- wie Kontaktdatenregeln in Restaurants rechnen sie nicht mit großen Gewinnen. Selbst Kostendeckung wäre 2020 ein Segen, zumal die oft noch in Kurzarbeit befindlichen Angestellten mancherorts einer ungewissen Zukunft entgegenblicken. Laut Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) geben 81,5 Prozent der Restaurantbetreiber an, dass wirtschaftliches Arbeiten (d.h. mehr Umsatz als Kosten) unter den jetzigen Auflagen nicht möglich ist.

Immerhin geht es weiter, immerhin ist die Zeit des Stillstands vorerst überstanden. Ähnlich dürfte die Stimmung bei den Urlaubern sein. Gewiss vermisst manch einer das Frühstücksbuffet oder die Sauna. Dennoch: Der Strandspaziergang entschädigt für einiges. Er ist wie gemacht für all jene, die zu sich selbst finden möchten. Die räumlich und emotional Abstand von den alltäglichen Sorgen gewinnen möchten.

Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland hat beim Infektionsschutz derart vorbildlich mitgewirkt, dass der von vielen Gesundheitsexperten totgesagte Sommerurlaub 2020 doch noch in vernünftigem Maße möglich ist. Solange Einheimische und Reisende gleichermaßen rücksichtsvoll weitermachen, dürften Einreiseverbote endgültig der Vergangenheit angehören.





22.05.2020
Das gute Miteinander – Beispiel Bergwandern

Eine neue Lebensqualität: Seit dem 6.05.2020 gelten in Bayern keine Ausgangsbeschränkungen mehr, sondern Kontaktbeschränkungen. Damit sind Bergtouren wieder möglich! Der Deutsche Alpenverein (DAV) freut sich, dass die Bergsportgemeinschaft durch ihren wochenlangen Verzicht zur Eindämmung des Virus beigetragen hat. Dennoch ist es wichtiger denn je, gewisse Regeln einzuhalten. "Es geht darum, gewonnene Freiheiten so zu nutzen, dass eine neuerliche Zunahme der Ansteckungen verhindert wird," erinnerte DAV-Präsident Josef Klenner.

Neben den üblichen Abstands- und Hygieneregeln legt der DAV allen Sportlerinnen und Sportlern ans Herz, ihre Risikobereitschaft zu senken. Wer im Zweifel den leichteren Pfad nimmt, seine Tagesform nicht überschätzt, der schützt nicht nur sich. In Zeiten der Pandemie können Rettungsdienste und Mediziner vor noch größeren Herausforderungen stehen.

Die Dame gehört zu den Menschen, für die sämtliche Infektionsschutzmaßnahmen nie scharf genug sein können. Jeder Person, die ohne dringende Notwendigkeit das Haus verlässt, handelt in ihren Augen unverschämt rücksichtslos. Auf der anderen Seite lauern Wutbürger und Verschwörungstheoretiker, die demonstrativ und vorsätzlich Abstandsregeln missachten. Sie demonstrieren ausgerechnet jetzt, wenn Deutschland hinsichtlich der Epidemiewelle kurz vor dem Ziel ist. Skurril ist, dass ein Großteil der Einschränkungen, die Unmut wecken, entweder schon aufgehoben ist oder kurz davor.

Etliche Empfehlungen entfalten ihre Logik auch über die Corona-Zeit hinaus! Beispielsweise sollte der Wanderer seine Rast am Gipfel etwas verkürzen, wenn vermehrt Gleichgesinnte dort ankommen und auch verweilen möchten. Rücksicht ist für den "echten" Bergsportler ohnehin Ehrensache. Der Schutz der Natur gehört dazu: Abfälle mitnehmen, Wildtiere und Pflanzen nicht stören, z.B. durch Lärm oder durch Verlassen der Wege.

Übrigens: Die Abstandsregeln, die wir seit der Pandemie kennen, galten in Bezug auf Kühe schon immer! Mit ausreichender Distanz, besonnener Körpersprache und gesundem Menschenverstand kommt man an die meist friedfertigen Zeitgenossen elegant vorbei – selbst wenn der "Begegnungsverkehr" imposant wirkt.





11.05.2020
Kommentar: Bleibt gesund. Bleibt gelassen!

Für die einen bedeutet jede Lockerung ein nahender Weltuntergang. Für die anderen ist jeder kleine Verzicht der Weltuntergang. Ich frage mich: wo ist der gesunde Mittelweg zwischen diesen zwei Extremen? Denn sie bestimmen zunehmend die öffentliche Diskussion. Gemäßigte, differenzierte Betrachtungen bleiben auf der Strecke. Sie sind von Natur aus eher still.

"Wer immer noch joggen will, gehört eingesperrt!", äußerte eine Facebook-Nutzerin Ende März 2020. Fakt ist, dass Joggen in Deutschland zu jeder Zeit erlaubt war und ist – auch auf Rat führender Virologen. Fakt ist ebenso, dass die Dame diese Meinung in unserer Demokratie äußern darf. Sie ist jedoch so extrem und so unschön ausgedrückt, dass sie mit dazu beigetragen hat, die Solidarität unserer Gesellschaft zu schwächen.

Die Dame gehört zu den Menschen, für die sämtliche Infektionsschutzmaßnahmen nie scharf genug sein können. Jede Person, die ohne dringende Notwendigkeit das Haus verlässt, handelt in ihren Augen unverschämt rücksichtslos. Auf der anderen Seite lauern Wutbürger und Verschwörungstheoretiker, die demonstrativ und vorsätzlich Abstandsregeln missachten. Sie demonstrieren ausgerechnet jetzt, wenn Deutschland hinsichtlich der Epidemiewelle kurz vor dem Ziel ist. Skurril ist, dass ein Großteil der Einschränkungen, die Unmut wecken, entweder schon aufgehoben ist oder kurz davor.

Symptomatisch für die Spaltung unserer Gesellschaft waren die Reaktionen auf die Meldungen des Robert-Koch-Instituts, dass die Reproduktionszahl am 10. und 11. Mai 2020 zwischenzeitlich auf über 1 gestiegen ist. Die einen sehen sich bestätigt, dass die Lockerungen viel zu früh kamen und bald das böse Erwachen zu Buche schlägt. Die anderen nehmen die Berechnungen des RKI seit Wochen nicht mehr ernst. Journalisten wie Youtuber spiegeln dieses gesellschaftliche Spektrum wieder. Differenzierte Berichte, welche über die reine Meldung oder deren Kritik hinaus gehen, sind Mangelware.


Gibt es eine vernünftige Mitte zwischen panischer Angst und pauschaler Wut?


Nicht alle machen das, was aus meiner Sicht vernünftig ist. Nämlich, den Experten zu vertrauen und ihre Arbeit zu würdigen und zu schätzen. Im zweiten Schritt allerdings darf jeder mündige Bürger die Zahlen, Grafiken und Berichte des RKI unter die Lupe nehmen. Dabei ist mit bloßem Auge erkennbar: Die Reproduktionszahl schwankt. Sie liegt an manchen Tagen über 1, an anderen Tagen unter 1. Da sie in den letzten Wochen öfter und deutlicher unter als über 1 lag, sind die Fallzahlen insgesamt rückläufig. So gelange ich schnell und unkompliziert zum Fazit: Es ist weiterhin geboten, vorsichtig und rücksichtsvoll zu handeln. Doch Anlass zur Panik besteht seit Wochen nicht und am heutigen Tag auch nicht.

Ja, es gibt die rücksichtsvollen Menschen, die besonnen und bewusst handeln. Sie leben vorsichtig und strahlen dennoch gute Laune aus. Sie halten sich an Regeln aus Überzeugung und zum Wohle ihrer Mitmenschen. Gleichzeitig hinterfragen sie auf höfliche und zivilisierte Art und Weise Regeln, die möglicherweise über das Ziel hinausschießen. Die vernünftigen, liebevollen Bürgerinnen und Bürger sind die tragenden Säulen unserer Demokratie. Lassen wir sie verstärkt zu Wort kommen. Hören wir nicht immer auf die, die am lautesten schreien – sei es vor panischer Angst oder vor pauschaler Wut.

Vergessen wir nicht, dass wir mit dem Gesundheitsschutz unserer Mitmenschen und mit der verantwortungsvollen Rückkehr zu einer Art Normalität gleich zwei gemeinsame Ziele haben. Bleiben wir gesund und bleiben wir gelassen.





10.05.2020
Einsame Ostseeküste wartet auf Besucher

Im April 2020 blieben die deutschen Ostseestrände Fischern, einheimischen Spaziergängern und vereinzelten Geschäftsreisenden vorbehalten. Nicht mehr lange: Das Einreise- und Beherbergungsverbot soll in Schleswig-Holstein am 18. Mai fallen. Gleichzeitig öffnen in Mecklenburg-Vorpommern Hotels für Einwohner des eigenen Bundeslandes, eine Woche später für alle Bundesbürger.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) bezeichnete die Lage von Hotels und Restaurants Ende April als "katastrophal". DEHOGA-Präsident Guido Zöllick warnte vor einer "Pleitewelle nie gekannten Ausmaßes" mit dem Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze.

Eine klare Mehrheit der Bundesbürger hält es für vertretbar und wünschenswert, bei günstiger Entwicklung der Fallzahlen zumindest innerhalb von Deutschland Urlaub machen zu dürfen. Dr. Martin Stürmer, Virologe und Laborleiter aus Frankfurt, weist darauf hin, dass die Öffnung Gefahren birgt. Länder wie Mecklenburg-Vorpommern, die bis jetzt in der Pandemie glimpflich davonkamen, könnten sich durch Touristen das neuartige Coronavirus wieder verstärkt ins Land holen, äußerte er im ZDF-Livestream.

Hinterher werden wir als Gesellschaft mehr wissen und dazulernen. Sowohl die epidemiologischen als auch die volkswirtschaftlichen, psychischen und anderen Konsequenzen werden sich erst später offenbaren – möglicherweise im Herbst. Auf Anfrage verweigerte Anfang Mai das Robert-Koch-Institut eine Stellungnahme, ob und unter welchen Bedingungen ein sicherer Beherbergungsbetrieb innerhalb Deutschlands diesen Sommer möglich ist. Was bis jetzt bekannt ist und was es vermuten lässt: Kapazitätsbeschränkungen um 40 bis 50 Prozent könnten zu hohen Preisen und dauerhaft ausgebuchten Hotels führen. Anstelle des Frühstücksbuffets müssten Gäste möglicherweise mit einem Lunchpaket Vorlieb nehmen. Wenn Anreise per Bahn, dann mit Mundschutzpflicht. Man könnte es als "Urlaub mit Hindernissen" empfinden. Doch in diesem so besonderen, schicksalhaften und oft wenig erfreulichen 2020 dürfte jeder Sommerurlaub als besonderes Glück in Erinnerung bleiben.





5.05.2020
Momente der Lebensfreude

Unter der Elbbrücke schaukeln zwei Mädels. Oben hören drei Jungs Musik. Vier andere essen Kartoffelchips. Diese Menschen verhalten sich regelkonform, denn wir sind hier in Sachsen-Anhalt, wo die Kontaktbeschränkung schon erheblich gelockert wurde.

Es kann jederzeit eine Pandemie kommen. Möglicherweise verläuft sie in mehreren Wellen. Darüber hinaus gibt es Wirtschaftskrisen, Überflutungen, Dürren. Manchmal eine akute Terrorgefahr. Doch früher oder später siegt das Leben und nicht die Angst vor dem Tod. Das ist die frohe Botschaft, die an diesem frühlingshaften Abend aus dem Herzen Magdeburgs in die ganze Bundesrepublik ausstrahlt. Noch mehr, in die ganze Welt!





4.05.2020
Sachsen-Anhalt – Vorprescher oder Vorreiter?

Auf dem ersten Blick mag die Frage geeignet erscheinen, die politische Landschaft und die Bevölkerung zu spalten. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass wir alle ein gemeinsames Ziel haben. Das Gebot der Stunde ist, Leben und Gesundheit zu retten und gleichzeitig den Menschen so viel Freiheit wie möglich und vertretbar zurückzugeben.

Die Tagesschau berichte am 2.05.2020 online über die von der Staatsregierung beschlossenen Lockerungen. "Sachsen-Anhalt prescht vor": diese Überschrift erschien manchen Lesern tendenziös. Eine Mehrheit der Kommentatoren aus der Bevölkerung begrüßte die Lockerungen. Andere äußerten wiederum Befürchtungen, dass die Fallzahlen dadurch wieder steigen werden. Nutzer "Adeo60" bezeichnete die Erlaubnis einer Gruppenbildung bis zu 5 Personen als "unvernünftig".

Fakt ist, dass sich die Regierungschefs von Bund und Ländern am 30.04.2020 geeinigt hatten, über weitergehende Lockerungen erst am 6.05.2020 zu beraten. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz bezeichnete es als "befremdlich", zwischendurch mit Lockerungen auszuscheren. Fakt ist allerdings auch, dass darüber weitgehend Einigkeit herrscht, regionale Unterschiede des Infektionsgeschehens zu berücksichtigen.


"Einen Ausnahmezustand können wir nicht ewig aufrechterhalten"

ein Regierungssprecher des Landes Sachsen-Anhalt


Die Präambel der ab 4.05.2020 gültigen fünften Corona-Eindämmungsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt offenbart eine politisch-philosophische Erkenntnis. Ein Großteil des Verhaltens zur Ausbremsung des Virus "basiert auf Einsicht und Freiwilligkeit der Beteiligten und lässt sich nicht allein durch staatliche Regeln vorschreiben." Notwendig seien ein "neues gesellschaftliches Verständnis" und Selbstdisziplin.

Trotz einzelner Zwischenrufe aus der politischen Landschaft verteidigte ein Regierungssprecher diesen Kurs: "Bisher waren die Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter sehr verantwortungsbewusst. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies auch weiter so sein wird. Einen Ausnahmezustand wie den gegenwärtigen können wir nicht ewig aufrechterhalten. Wann, wenn nicht bei einem deutlichen Rückgang des Infektionsgeschehens, sollen wir beginnen, dass öffentliche und wirtschaftliche Leben verantwortungsvoll und behutsam wieder hochzufahren?"

"Vorprescher oder Vorreiter?" Diese Frage werden erst die Geschichtsbücher endgültig klären können. In den darauffolgenden Tagen gaben unter anderem Niedersachsen und Bayern einen vorbehaltlichen Zeitplan der schrittweisen Rückkehr zur Normalität bekannt. Neben dem rechtlichen Aspekt der ständigen Überprüfung der Notwendigkeit dürfte sicher eine Rolle gespielt haben, die überwiegend vorbildliche Bevölkerung ein Stück weit zu belohnen.





1.05.2020
Coronafreies Rostock - wie viel Zuversicht darf es sein?

Werden Menschen nachlässig und übermütig, sobald man ihnen Hoffnung macht? Am 23.04.2020 meldete Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen, dass der letzte Covid-19-Patient in der Hansestadt genesen ist. So erklärte er Rostock zur ersten coronafreien Großstadt in Deutschland.

Focus Online berichtete von einer "gemischten Stimmung" bei den Einwohnern der Hansestadt. Eine skeptische Lehramtsstudentin bezeichnet den Auftritt des Bürgermeisters als "leichtsinnig". Er suggeriere, dass die Krise vorbei sei und könne die Bürger dazu bewegen, "alle Sicherheitsmaßnahmen in den Wind zu schlagen".

Im April 2020 warnen deutsche Spitzenpolitiker Tag für Tag, dass allzu viel Optimismus gefährlich sein könnte, wenn er bei den Menschen Unvernunft und Leichtsinn weckt. Selbst erfreuliche Entwicklungen der Fallzahlen präsentieren sie mit zögerlicher Rhetorik und viel Wenn und Aber. In diesem Tenor äußert sich auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig zur Entwicklung in Rostock. Sie freue sich darüber, dennoch sage sie ganz klar: "Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Wir haben es weiter mit einer hochansteckenden Krankheit zu tun. Es muss verhindert werden, dass es nach Lockerungen zu einem erneuten sprunghaften Anstieg der Infektionen kommt." Diese Floskeln sind inzwischen fast jedermann bekannt – sei es aus dem näheren Umfeld oder aus dem Bundeskanzleramt.


"Angst ist kein guter Ratgeber"

Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister der Hanse- und Universitätsstadt Rostock


Oberbürgermeister Madsen betont, dass er auf seine "Coronafrei"-Statements überwiegend positive Reaktionen erhalten habe - aus ganz Deutschland und aus dem Ausland. Ihm sei es wichtig, jetzt vor allem positive Motivationen nach vorn zu stellen: "Viele Menschen sind durch die Vielzahl der teilweise drastischen Maßnahmen sehr verängstigt. Doch Angst steht nicht für unsere Stadt, sondern Optimismus und Zukunftsgewandtheit."

Stimmt es, dass die Bevölkerung optimistische Aussagen von Politikern voreilig als Entwarnung wahrnimmt? Werden Menschen dann nachlässig und leichtsinnig? Prof. Dr. Peter Kropp, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universitätsmedizin Rostock, findet die Sorge berechtigt. Der Psychologe geht davon aus, dass in Phasen von Lockerungen die Regel-Übertretungen häufiger sind als bei komplettem Lockdown. Außerdem können Verstöße zu noch mehr Verstößen führen. Ähnlich wie bei einer Schafherde: die Hemmschwelle bei grenzwertigen Tätigkeiten sinkt, je mehr man dasselbe Verhalten bei anderen Menschen beobachtet.

Andererseits betont Kropp, dass das Signal schrittweiser Lockerungen wichtig ist als Perspektive für das weitere Leben der Menschen. Der Einzelne spürt eine gewisse Erleichterung, wenn er die Einschränkungen zeitlich einordnen kann. Für politische Entscheidungsträger entsteht eine respektable Gratwanderung, zumal sie zurückrudern müssten sobald die Infiziertenzahlen wieder signifikant steigen.

Das Krisenmanagement des Oberbürgermeisters Madsen könnte für ganz Deutschland wegweisend sein. Er machte frühzeitig den Ernst der Lage deutlich und die Hansestadt reagierte entschlossen. Entgegen den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts testete sie unter anderem Ärzte und Pfleger, auch wenn sie symptomfrei waren. Ebenso frühzeitig und entschieden kommunizierte Madsen den Erfolg an die Bevölkerung – sei es auch nur ein Zwischenerfolg. "Es geht jetzt darum, einen Weg aus der Krise hinaus zu weisen, der nicht von Angst, Leichtsinnigkeit und Negativ-PR geprägt ist. Angst ist kein guter Ratgeber", betont Madsen. "Optimismus, das sind Lebensfreunde und der Glaube an das Leben - und genau dafür steht Rostock."

Wachsamkeit und Optimismus müssen sich nicht ausschließen. Die Hansestadt Rostock hat in der Corona-Pandemie vorerst einen erfolgreichen Mittelweg aus Vernunft und Hoffnung entdeckt.





24.04.2020
Kommentar: Die Sorgen Merkels – Psychologie trifft Staatsrecht
"Wer zu früh aufsteht, riskiert einen Rückfall". Diesen Satz kennen wir, nicht erst aus einer Pressekonferenz des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder. Bestimmt hat ihn fast jeder von uns in der eigenen Kindheit gehört. Vor wenigen Tagen zeigte sich zudem Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sehr besorgt, ob sich die Bürger weiterhin an die Schutzmaßnahmen halten. Solche Worte offenbaren die klassische Eltern-Kind-Beziehung. Sie ist geprägt von Liebe, Fürsorge und Restriktionen.

Meine Wertschätzung gilt den deutschen Spitzenpolitikern, die ihre "Elternrolle" äußerst fürsorglich, herzlich und vernünftig leben. Sie handeln nach bestem Wissen und Gewissen, wollen maximale Sicherheit und maximales Wohlbefinden für jeden Einzelnen. Wenn das Kind nach einwöchiger Grippe erstmals neue Kraft spürt, möchte es rausgehen und mit den anderen Kindern spielen. Doch die Eltern durchleiden jede Erkrankung des Kindes intensiver als ihre eigenen. Verantwortungsvoll sagen sie: "Nein, liebes Kind, du bleibst noch ein paar Tage im Bett und kommst nur in kleinen Schritten zurück ins gewohnte Leben."

Hier sprechen Vernunft und Fürsorge. Eltern, die bereits Rückfälle ihres Kindes erlebt haben, sind besonders vorsichtig. Doch die Gefühlswelt mischt sich mit ein. Manchmal ist das Kind bereits gesund, doch die Eltern haben sich noch nicht vom Schock erholt, dass das Kind krank geworden ist. Also liegt das Kind möglicherweise länger im Bett als notwendig, zur Beruhigung seiner eigenen Eltern? Eine gewagte Frage, die für kontroverse Diskussionen prädestiniert ist.

Dabei sind die Zusammenhänge keinesfalls trivial. Die Krankheit ist eine akute Gefahr für das Kind. Doch sollte ein Kind längere Zeit nicht mit anderen Kindern spielen, also kommunizieren, könnte das sein Leben beeinträchtigen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Zeit vom vierten bis zum siebten Lebensjahr entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit ist. Dieser Zeitraum ist so knapp, dass es Eltern nicht verantworten können, das Kind monatelang ohne Notwendigkeit zu isolieren. Es geht keineswegs nur um Lebensfreude und eine erfüllte Kindheit. Spiele und kleine Streitereien fördern soziale Kompetenzen. Ohne sie fällt es diesen Menschen unter Umständen ein Leben lang schwer, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und sich im Beruf zu entfalten. Kommunikation ist alles – Berufsleben, Privatleben und Lebensfreude.

Ab wann ist das Kind zu hundert Prozent genesen? Ab wann überwiegen die Langzeitschäden durch das Nicht-Rausgehen-Dürfen? An diesem heiklen Punkt steht Deutschland im Moment bei der Pandemiebekämpfung. Wir handeln entschlossen, um eine akute Gefahr für menschliches Leben abzuwehren. Der Erfolg ist spürbar und messbar – wir erhalten täglich aktuelle Zahlen. Im Moment machen sie uns Hoffnung. Die Auswirkungen von Isolation, Kurzarbeit und sonstigen Belastungen kommen eher schleichend. Sie mit Zahlen und Grafiken aussagekräftig zu beziffern, dürfte für Wissenschaftler sehr herausfordernd sein.

Aus diesem Grund erinnert die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in der dritten Ad-hoc Stellungnahme vom 13.04.2020 an die Gratwanderung, die jetzt geboten ist. Die Verhältnismäßigkeit muss Tag für Tag überprüft werden. Eine Maßnahme muss "geeignet, erforderlich und angemessen" sein. Nun haben die meisten Bürgerinnen und Bürger kein Verwaltungsrecht studiert. Insbesondere im März 2020 hörte und las ich vermehrt Rufe: "Wir wollen Menschenleben retten. Je strenger die Maßnahmen, desto besser." Doch die Grundsätze unserer freiheitlichen Demokratie und ihre Auslegung durch oberste Verfassungsrichter sprechen eine andere Sprache. Es reicht nicht, ein richtiges Ziel zu verfolgen, sei es der Schutz der Bevölkerung oder die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Die Maßnahmen müssen exakt auf dieses Ziel zugeschnitten wirken. Wenn das Ziel mit einem milden Mittel erreichbar ist, ist das harte Mittel nicht verhältnismäßig und daher rechtswidrig.

Diese Pandemie ist eine außerordentliche Herausforderung. Zumindest in Deutschland haben wir keine Erfahrungswerte aus der jüngsten Vergangenheit. So war es richtig und wichtig, frühzeitig zu handeln um Gefahren abzuwehren. Doch Tag für Tag lernen wir dazu und dieses neue Wissen können wir einsetzen um zu überprüfen, welche Schutzmaßnahmen weiterhin notwendig und vertretbar sind und welche nicht.

Hierzu zeigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgestern eine beeindruckende Weitsicht. "Wir werden viel verzeihen müssen," sagte er. Möglicherweise würde er in einem halben Jahr seine eigenen Entscheidungen von heute kritisch hinterfragen, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Das trifft es auf den Punkt. Weder Kinder noch Eltern oder Politiker sind unfehlbar, gar perfekt. Das gesamte Leben ist ein Lernprozess. Und in einem halben Jahr werden wir möglicherweise schon wirksame Alternativen zum Lockdown kennen.

In jungen Jahren vertrauen Kinder auf den Sachverstand der Eltern. Sie haben mehr Lebenserfahrung, sind größer, stärker und versorgen einen mit allem, was man zum Leben braucht. Ähnlich vertrauen Bürger in die Politik, insbesondere jetzt in Krisenzeiten: "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand". Der Moment der Wahrheit kommt, wenn Kinder erwachsen werden. Meistens erkennen sie, wie sehr die Eltern Recht hatten. Mit 28 kam ich zur Überzeugung, mich gesund zu ernähren und Sport zu treiben. Eigentlich hätte ich nur auf meine Eltern hören sollen, die dasselbe vor mehr als zehn Jahren predigten. Doch manche Kinder stellen fest, dass die Eltern hier und da Fehler gemacht haben, etwa indem sie ein besonders braves Kind besonders streng behandelt haben.

Es gilt tatsächlich, zu verzeihen und weiterhin zu lieben und zu danken. Denn Eltern sind genauso Menschen wie eben Politiker. Vielleicht wurden sie ihrerseits in der Kindheit ungerecht behandelt. Vielleicht stehen sie in einer kritischen Situation mit dem Rücken zur Wand und bangen um das, was ihnen am wertvollsten ist: das eigene Kind oder die Bürgerinnen und Bürger. Die jüngsten Äußerungen der Bundeskanzlerin lassen erahnen, wie viel Anspannung sich in dieser sonst so gelassenen, sachlich-ausgeglichenen und frohen Person angesammelt hat. Diese menschliche Komponente voller guter Absichten verdient ungeachtet der politischen Tätigkeit unser Mitgefühl und unsere Sympathie.





18.04.2020
Der Blog geht online!
Etwas unfreiwillig erleben wir im Moment pure Zeitgeschichte hautnah. Selbst Menschen, die gesundheitlich wohlauf sind, spüren eine gesellschaftliche Ausnahmesituation. Ob Virus oder Einschränkungen – vieles wirkt bedrohlich und ungewiss. Ich kann nicht länger zusehen, wie die Menschen immer leiser, immer unsicherer werden. Dieser Blog ist meine Antwort auf die Stille.

Das erfreuliche am Lockdown ist, dass wir durch Nichtstun Menschenleben retten können. Ob ich die jetzige Entschleunigung in einem Leben ohne Einschränkungen jemals erfahren hätte? Doch ich werde ehrlich sein. Arbeiten, essen, schlafen und sonst monatelang abwarten im Sinne des Gesundheitssystems – dieser Zweck und Inhalt menschlichen Lebens reicht mir nicht. Gerade jetzt ist es geboten, dass jeder seine Fähigkeiten im Sinne der Gesellschaft einsetzt. Das war es schon immer, aber jetzt ist es akut. Die einen sind körperlich stark, die anderen erfinderisch, Dritte können die Erfinderischen finanzieren. Andere wiederum stärken die Psyche notleidender Menschen. Ich persönlich habe Erfahrung im Schreiben und Fotografieren. Immerhin.

Mein Herzenswunsch ist, Euch Lesern Orientierung und Zuversicht zu schenken. Gerade in turbulenten Zeiten schulden Journalisten und Schriftsteller jedem Einzelnen ein gewisses Etwas. Sorgfältig recherchierte Informationen und ihre differenzierte Betrachtung stützen unsere stolze Demokratie. Meinen Fokus lege ich auf den Bereich Gesellschaft. Wie lebten wir vor Corona? Wie leben wir jetzt mit den Einschränkungen? Wie machen wir danach weiter? Die großen politischen Fragen werde ich vorerst nicht beleuchten. Doch mit kleinen lebendigen Geschichten werde ich mich immer mehr an sie herantasten.

Positive Impulse und Denkanstöße... Höchstes Ziel ist, mündige Bürger zu fördern, die weiterhin vernünftig, aber lebensfroh agieren. So dynamisch wie sich die Gesellschaft wandelt, so werden auch meine Texte sein. Es könnten Berichte für Tageszeitungen werden, es könnte ein Roman werden oder eine Bildausstellung. Darüber mache ich mir später Gedanken.

Ich brenne für diese Idee. Weitere Artikel habe ich bereits im Kopf und kann es kaum erwarten, sie aufzuschreiben und mit vielen Menschen zu teilen. Wenn Du eine Geschichte aus dem gesellschaftlich-philosophischen Bereich erzählen möchtest, die hier reinpasst, schreibe mich gern an.





13.04.2020
Das Bestmögliche
Gewiss ist, dass wir in absehbarer Zeit nicht zu unserem gewohnten Leben zurückkehren dürfen. Machen wir aus der Not eine Tugend! Erkunden wir die nähere Umgebung oder machen wir verstärkt Sport – und beachten dabei die geltenden Regeln. So geben wir jedem Tag die Chance, ein guter, erfüllter Tag zu werden. Glücksempfinden kennt keine Logik, es hängt nicht unbedingt von den Umständen ab. Jemand, der mit seinen Nächsten im Park spaziert kann mehr Glück empfinden als jemand, der eine Urlaubswoche in Hongkong verbringt. Wir haben jetzt die einmalige Chance, uns bewusst kleine Freuden zu gönnen. Ich bin gespannt, ob ich sie genauso oder sogar noch intensiver genieße als meine Aktivitäten vor der Corona-Zeit. Vielleicht mache ich jetzt Erfahrungen, die mein künftiges Leben zum Besseren ändern. Immer mehr, immer weiter, schneller, effizienter, lauter, luxuriöser... Das zu hinterfragen und bewusst das wahre Glück zu wählen, war es schon immer wert.






9.04.2020
Zug fahren – ein besonderes Geschenk
Ich darf Zug fahren. Sogar mit dem schnellen, komfortablen ICE. Es fühlt sich sehr besonders an. Was lange Jahre selbstverständlich schien, ist im Frühling 2020 ein Privileg.

Halt! Nein! Ich will die Denkweise vergangener Tage zur Seite schieben. Ein Privileg war es schon immer. Nur wird es mir erst heute bewusst. Damit sich der Zug in Bewegung setzt, haben unzählige Menschen ihren Intellekt und ihre Arbeitskraft zum Wohle von uns allen eingebracht. Von den natürlichen Ressourcen ganz zu schweigen – selbst wenn die Bahn umweltfreundlicher ist als andere Verkehrsmittel. Sobald ich meine Augen geöffnet habe, entdecke ich immer mehr Wunder. Die Gaben Tag für Tag auf dem Esstisch... Genieße ich sie wirklich? Ohne in Gedanken woanders zu sein? Denke und danke ich jedes Mal an die Menschen, die gearbeitet haben, um die Lebensmittel herzustellen?

2020 führte vor Augen, dass sich alles Liebgewordene von heute auf morgen aus unserem Leben verabschieden kann. Vom gemeinsamen Picknick bis hin zur eigenen Gesundheit: jedes Gut ist fragil. Das gilt genauso für Mobilität, für die Eisenbahn. Aus Eisenbahner- und Fachkreisen hört man die Sorge, dass bei hohem Krankenstand in einem einzigen Stellwerk möglicherweise halb Deutschland still steht. Eine Sprecherin der Deutschen Bahn ließ Zuversicht walten: Das Personal ist so bemessen, dass Ausfälle kompensiert werden können. Zum Beispiel sind Fahrdienstleiter so geschult, dass sie auch auf Nachbarstellwerken arbeiten können.

Froh und besonnen komme ich am Ziel an. Der Zug erreicht die Endstation mehrere Minuten zu früh. Eilig habe ich es nicht – Termine sind zurzeit Fehlanzeige. Ich bleibe 4-5 Meter zurück, damit ein anderer Mann als erster in Ruhe aussteigen kann. Er lächelt mich an und nickt dankend. Dieser Moment beflügelt meinen Traum von einem liebevollen menschlichen Miteinander, das bis jetzt kaum Beispiele kennt. Vor der Krise drängten sich die meisten Menschen an den Türen. Jeder wollte möglichst als erster aussteigen und weiter düsen. Ich bin überzeugt: die gegenseitige Rücksicht und Wertschätzung bis hin zum alltäglichen Lächeln gegenüber "fremder" Menschen werden wir nach Corona beibehalten. Für die Zeit nach den Einschränkungen habe ich mir fest vorgenommen, bei jeder Begegnung darauf zu achten. Doch warum erst dann? Ich kann gleich jetzt damit anfangen...






4.04.2020
Tierische Gelassenheit
Abstand... Abstand... Na gut, komm Schmusen! :) Ach Miezi. Du machst es richtig. Den Moment genießen. Dir jeden Tag Dinge gönnen, die dir Freude machen. Und falls Herrchen aus Versehen in eine Pressekonferenz zappt, gehst du ins andere Zimmer. Oder einfach raus!






16.03.2020
Abschied vom gewohnten Leben
Noch ist das öffentliche Leben in Deutschland weitgehend intakt. Doch als erfahrener "Vielfahrer" spüre ich, wo die "Reise" hin geht. Ich beobachte besorgte Politiker und erkenne ihre Hinweise zwischen den Zeilen. Die Bürger sind zunehmend verunsichert, die Laune oft gedämpft. Vergangene Woche überkam mich nach dem Fußball die Melancholie. Auf ein erfrischendes Getränk sagte ich meinen Sportkammeraden, dass wir definitiv zum letzten Mal spielen. Die meisten glaubten mir nicht, dass es so weit kommt. Zwei Tage später wurde uns mitgeteilt, dass die Halle ab nächste Woche nicht benutzt werden darf.

Das Yoga, das Restaurantessen, der Besuch – getrübt von der Endzeitstimmung versuchte ich, all das noch einmal zu genießen. So richtig unheimlich wurde die Entwicklung erst dann, als ich bei jeder Aktivität richtig erkannte, wann es das letzte Mal war.

So ist heute der vorerst letzte Ausflug in die Berge. Mir macht die Ansteckungsgefahr keine Sorgen. Vielmehr sehe ich eine große Welle von gesellschaftlichen und persönlichen Verlusten auf uns alle zukommen. Ich suche nach Zuflucht und finde keine. Äußere Umstände werden mein Leben kontrollieren und ich werde nicht einmal wissen, ob ich nächsten Monat meine Wohnung verlassen darf. Loslassen anstatt Festhalten – das ist eine Lebensaufgabe. Sehr bald werden wir gezwungen, sie innerhalb weniger Tage zu meistern.

Ich wollte ohnehin eine neue Lebensphase einleiten – weniger Freizeitstress, mehr Besinnung, mehr zwischenmenschliche, gesellschaftlich bedeutsame Aktivitäten. Ich wollte unbedingt selbst entscheiden, wann diese Phase beginnt und wie schnell der Übergang sein darf. Doch das Dasein in der Komfortzone ist ausgeträumt. Und das ist gut so! Jede Schwierigkeit fördert die eigene Kraft und Weiterentwicklung. Sie zaubert ungeahnte Chancen.

Mit jeder noch so schmerzhaft erzwungenen Leere entsteht Raum für Neues, ja für Wunderschönes. Vielleicht finde ich gerade in der sich anbahnenden Notsituation das wahre Glück. Vielleicht wird es eine ehrenamtliche Tätigkeit. Vielleicht wird es bloß, anderen Menschen Mut zu machen. Heute spüre ich am Ende meiner Wanderung, dass mich die Zuversicht zunehmend verlässt. Genau deswegen werde ich sie mit aller Kraft anderen Menschen geben.






9.03.2020
Auf was können wir verzichten?
"Verzicht" wird 2020 mit großer Wahrscheinlichkeit Wort des Jahres und Unwort des Jahres zugleich. Den Anfang hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in seiner heutigen Pressekonferenz gemacht. Da wir aufgrund der nahenden Epidemie mit Einschränkungen rechnen müssen, erläuterte er seine Überlegungen, welche Aspekte des Lebens eher verzichtbar sind als andere. Seine Worte beschäftigen mich. Eine allgemeingültig festgelegte Reihenfolge der Prioritäten im Leben bereitet mir Bauchschmerzen.

Wenn ich drei Personen zum Thema "Kaffee" befrage, könnten die Ergebnisse so aussehen:

Nr. 1: "Ein Leben ohne Kaffee ist kaum vorstellbar und in jedem Fall nicht lebenswert"
Nr. 2: "Auf Kaffee kann man locker verzichten"
Nr. 3: "Ein Leben ohne Kaffee ist gesünder und glücklicher als mit Kaffee"

Doch unterm Strich haben sich die Worte des Ministers als passend erwiesen. Gewissen Verzicht wird die Menschheit 2020 von fast jedem Individuum benötigen und verlangen. Die brisante Frage bleibt nur, wie weit dieser reichen darf.

Wie es der Zufall will, befinden wir uns mitten in der Fastenzeit. Der religiöse Hintergrund: einen Charaktertest überstehen, sich auf das Wesentliche besinnen. Ob Fleisch, Schokolade, Alkohol oder übermäßige Vergnügen: Verzicht reißt uns aus der Komfortzone heraus und gibt uns dadurch Kraft. Wer das Fasten überlegt und behutsam angeht, stärkt seine Gesundheit. Ich bin überzeugt, dass uns 2020 in vieler Hinsicht eine fast ganzjährige Fastenzeit beschert – mit all den Qualen und all den Wundern, die das Heilfasten für Mensch und Umwelt parat hat.

Verzicht ist nicht zuletzt eine bewusste Entscheidung zu geben, anstatt zu nehmen. Menschen, die überproportional nehmen erscheinen mir nicht sonderlich glücklich. Noch mehr haben und nehmen






Ich freue mich über Anregungen, Lob und Kritik. Die E-Mailadresse ist unter "Kontakt" zu finden.

Wenn Du eine Geschichte aus dem gesellschaftlich-philosophischen Bereich erzählen möchtest, die hier reinpasst, schreibe mich gern an.